Whoring for the Level Up

Ich wache auf. Ganz langsam öffne ich die Augen, nehme verschwommen meine Umgebung war, räkele mich wohlig unter warmen Decken, werde mir meines freien Tages gewahr, der Möglichkeit ohne Zwang und ohne Hektik den Tag zu gestalten … und schlummere sogleich wieder ein.
Ein hohles Gefühl in der Magengrube treibt mein Bewusstsein wenige Stunden später erneut in die kalte Gegenwart. Mein Leib verlangt nach Frühstück.
Auf dem Weg zum Bäcker kreuzen streikende Gewerkschaftsmitglieder meinen Weg. 5% mehr Gehalt gilt es im öffentlichen Sektor zu fordern, für das Wohl des Mittelstandes, für die Kinder, für die Raten der Hypotheken auf Substanzielles wie Banales. Ob ich da nicht was machen könnte, in Form dieser 20 Flyer, die an hochrangige Persönlichkeiten der Leipziger Gesellschaft zu verteilen seien?
Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass man mir mein Wohlwollen entlohnen wird, und willige ein.
Von Weitem sehe ich die süße Verkäuferin vor dem Teigwarendealer meines Vertrauens unstet auf und ab gehen.
Was ihr denn widerfahren sei, frage ich in nonchalanter Manier mit untertönig- hilfsbereitem Gestus?
Man habe den Lieferwagen gestohlen und so könne sie heute keine Brötchen feilbieten, erklärt sie mit so verzweifelter wie aufgelöster Mine, dass ich ihr umgehend versichere, die Brötchen persönlich in der Manufaktur abzuholen. „Das liege sowieso in der Nähe der Leipziger Persönlichkeit 2 und 7“, löse ich ihren Scham bezüglich der Annahme meines Angebotes gekonnt auf.
Kaum tragen mich meine Füße gen Bestimmungsort sehe ich linker Hand einen Bettler Pfandflaschen aus dem graffitigetagten Mülleimer an der Straßenbahnhaltestelle fischen, erkenne, dass er einen Namen trägt, und fühle den ununterdrückbaren Drang ihn anzusprechen.
Mittels eines leidenschaftlichen Statements wider die politische Willkür Pfand nur auf kohlensäurehaltige Getränke beliebiger Gattungen zu erheben kommen wir ins Gespräch.
Schnell wird klar, dass mein Gesprächspartner ein gebildeter Finanzjongleur auf dem Parkett der Mächtigen und Reichen war, der im Zuge der Finanzkrise leider unverschuldet auf Schwarz statt Rot wettete und die Eventualität der grünen Null übersah. Das kann vorkommen, und so leere ich gerne mein Portemonnaie, um ihm ein Startkapital für seine Resozialisierung zu kredenzen. Es sollte nicht umsonst sein, er überlies mir dafür seine beträchtliche Sammlung an Pfandflaschen und eine Bildzeitung von vorgestern mit herausgeschnittenem Seite 1 Bild und lud mich zudem infolge seiner zu erwartenden gigantösen Gewinne zu einem Abendessen bei meinem Lieblingsitaliener ein.
Jenem Italiener, der mir vor 2 Wochen den Auftrag erteilte 25 Steinchampignons im Wald zu suchen. Ich habe leider noch immer nur 22 im Rucksack. Die restlichen 3 werde ich davor wohl noch beim Gemüsetürken gegen die 3 Schweineohren, die mir der Metzger generös als Dank für die Mitteilung einer Affäre seiner Frau mit dem Käser zugeschoben hat, tauschen.

So oder ähnlich hätte mein Tag aussehen können wäre mein Leben ein Computerspiel.

Sinnlos.
Unglaubwürdig.
Dämlich.

Und trotzdem nehmen wir das Konstrukt des Quests als Handlungs- und Interaktionsrelevantestes Medium im Rollenspiel in jeder Form hin. Und freuen uns je ausgiebiger und kreativer (sprich: Un-glaubwürdiger) diese Interaktionshäppchen an uns herangetragen werden.
Die Quest ist ein einseitiges, banales, simples, berechnendes, spielführendes, motivierendes, wunderbares Instrument der Interaktion auf den Spieler und dessen Avatar. Fangen wir also bei Null an und Schauen auf die Realität heutiger Questimplementierung, auf die spielermotivierenden Vorteile und atmosphärischen Nachteile derselben und machen Anmerkungen wo und wie man neue Wege beschreiten könnte.

 

Am Anfang war das Polygonraster. Und alles war dunkel und eintönig. Und sooo PSOne.
Da nahm der Grafikdesigner die Height-Map in Angriff, formte und sculpte sie, definierte Wasserflächen und Bodentexturen, garnierte mit Displacement-Mapping und Tiefenunschärfe und sah das es kahl war.
Nun nahm er Speedtree-Bäume und verteilte sie reichlich zwischen Seen und Wegen, schuf Wälder und Allen, Heine und Parks. Und es sah scheußlich aus. Aber performant.
Er ließ garstige Widersacher in die Landen purzeln. Hässliche Gnome, grimmige Diebe, gefährliche Wildschweine und weniger gefährliche Riesengolems. Und es fehlte nicht mehr viel, um einem Rollenspiel zu genügen.
Nur noch einige Horte der Zivilisation, markiert durch Scheunen, Hütten, Kirchen, Villen und Burgen. Samt den ihrer Bestimmung nach eingefärbten Npc`s die dem Weltenretter in seiner Mission leiten und motivieren würden.
Und er sah, dass es mainstreamtauglich war.

 

Wenn wir von Spielwelt reden, dann meinen wir immer einen unbelebten Kosmos, eine bloße Verkettung polygonaler Strukturen deren Umrisse und Konturen entfernt die Form des Sachlichen annehmen. Eine Szene ist immer geprägt durch die Unzulänglichkeit der Darstellung, immer fehlerbehaftet, tot. Und trotzdem verbinden wir mit flachen Bitmaps wogende Blätter, mit halbtransparenten Noise-Shadern die Wasserbewegung eines sprudelnden Baches, mit Skyboxes ferne Horizonte.

Diese technischen, wie finanziellen Zugeständnisse an die Realisierbarkeit synthetischer Welten spiegeln sich auch im Questdesign wieder.
Eine Quest kann nur auf den Input zugreifen, der der simulierten Welt zugrunde liegt. Welcher sich meist in 3 Kategorien erschöpft:

– Exploration
– Kampf
– Kommunikation

Auf diese Fragmente wird (in unterschiedlicher Zusammenstellung und in Kombination mit einer charakterisierenden Kurzgeschichte) wieder und wieder zurückgegriffen.
Ob wir nun Kräuter für einen besonderen Trank suchen müssen (Exploration), an einem Npc Rache nehmen sollen (Kampf, Kommunikation) oder Gunstbeweise in Form von zehn Orkschädeln (Exploration, Kampf) zu erbringen haben, die Güte der Quests hängen immer nur an der Qualität der narrativen Umhüllung. Die sich aber nicht aus der Simulation der gesellschaftlichen Strukturen und Wertvorstellungen innerhalb des Bewegungshorizontes des Npc`s entwickelt, sondern einen, vom Autor geschriebenen und in sich geschlossenen Erzählstrang darstellt. Dieser narrative Strang ist das einzig verblendende Element einer löchrigen Gesellschaftsfassade sowie vorherrschende Weiche für moralische Entscheidungen und damit die Avatarprägung.
Es gilt daher, behutsam und subtil damit zu hantieren.
Was leider ausbleibt.
So ist die Quest in heutigen Spielen nicht nur alleinige Partizipationsmöglichkeit der Gesellschaft (abgesehen von einigen jämmerlichen Minispielchen), nein, sie bildet unisono auch noch das maß-gebliche Erzählkonstrukt, dient der Spielverlaufslenkung, wird für das Balancing missbraucht und, das ist das schlimmste, sie koppelt sich an ein alternativloses, weil spielfortschrittbestimmendes Belohnungssystem (Erfahrungspunkte).
Damit verliert das narrative Element substanziell an Bedeutung. Der Spieler macht alles, was ihm angeboten wird. Egal ob es seinem Rang, seiner Gesinnung, seiner Lust oder seinem Hauptauftrag entspricht; durch die garantierte Belohnung in Form von, in dem Maße nicht anders zu erringender Erfahrungspunkte, wird der eigentliche Handlungsgrund zur Nebensache.
Verstärkt wird diese Abkehr vom Atmosphärischen, durch den immateriellen Überfluss, mit dem der Spieler, durch reiche Flora, Fauna und Gegnerschar auch abseits von Questbelohnungen überschüttet wird. Womit materielle Vergütung sinnlos wird.
Wenn der Avatar also, kurz vor Beenden des Spiels, mit schillernder Rüstung und Inventarfüllung im Maßstab des Ersatzteillagers der Ludolfs vor einem unsympathischen Metzger steht, der in unverschämten Worten den Transport einer Ladung stinkender Tierkadaver fordert …so nimmt er in der Regel den Auftrag an. Denn es winken Erfahrungspunkte, die beim Stufenanstieg dem Feuerballzauber einen Flächenschaden hinzufügen könnten. Die Intention des Auftraggebers und Auftragnehmers sind also grundverschieden; beide reden aneinander vorbei und trotzdem wird man sich handelseinig.
Quests sind zudem kommunikative Einbahnstraßen. Jeder Einwohner der einen Namen über dem Kopf trägt (der Rest ist Staffage) hat das Potenzial dem Spieler (und nur diesem) einen Auftrag zu geben. Der Spieler hat also das Arbeitnehmermonopol. Was bedingt dass man dem einzelnen Quest keine besondere Bedeutung zumessen muss und sich in der Bewältigung auch mal Zeit lassen kann. 3 Wochen Frischfisch im Inventar? Kein Problem, der Auftragnehmer wird auch diesen stinkenden Matsch mit Freude und Belohnung in Empfang nehmen.
Das führt zu dem bekannten Verhalten, dass man erst mal ganze Dörfer „aberntet“ und die anliegenden Quests nun in Kombination und unter der Prämisse kürzester Wege angeht. Das mag ökonomisch sein, atmosphärisch ist es sicherlich nicht.
Dieses Questmonopol führt auch zu einer sonderbaren Alleinstellung des Spielers. Er, der durch das Fehlen einer Biografie und durch die adamsche Modellage im generischen Charaktereditor sowieso schon ein Glaubwürdigkeitsdefizit in der Spielwelt besitzt, wird weiter ausgegrenzt. Gesellschaftliche Partizipation heißt Willen zur Kommunikation. Und Kommunikation bedingt einen Dialog. Doch hier setzt das Spiel einen neuerlichen Riegel vor. Die Meinung des Spielers wird nicht verlangt, er darf keine Quests in Auftrag geben, kein Heim gründen, kein Amt begleiten. Es besteht ein Gewaltenungleichgewicht, eine Aufgabentrennung. Der Spieler muss agieren, die Npc`s dürfen leben.
Nicht grundlos wird der Held von Gamedesignern fast immer als rastloser Durchreisender auf Welten rettender Mission ausgelegt. So wird der Aufmerksamkeitsfokus auf die Exploration immer neuer Gebiete, auf die Stärkung des Charakters mit der Möglichkeit zur Gefahrenbewältigung und auf die Stimulation des Sammeltriebes gelegt. Um von der unzureichenden Simulation, der Absenz von Politik, Gesellschaft und Kommunikation abzulenken.
So motivierend, so erprobt, so finanziell stemmbar, ist das vorherrschende System sicherlich ein probates Mittel in der Spielausrichtung. Es vernachlässigt allerdings den ursprünglichen Kern des Genres: das Rollenspiel. Und zwingt den Entwickler den Spieler möglichst lückenlos zu führen, und ihm mit andauernder Aktion ruhigzustellen. Was in Kombination mit der Grafiklastigkeit heutiger Produktionen schnell das Budget sprengen kann.
Anders beim klassischen Rollenspielgedanken: Hier lässt die Integration in eine Gesellschaft sowie das Innehalten und Wirken lassen, die Lebenssimulation, und mit ihr eine Vielzahl repetitiver Elemente, eine viel längere Verweildauer in einem Areal zu. Der Preis wären neue Simulationsansätze, zu denen ich Entwickler gerne ermutigen möchte, und derer ich ein paar im Folgenden auflisten möchte.

Die Utopie einer vollständig simulierten Umwelt mit dem Spieler als gleichberechtigten und gleich dimensionierten Habitant ist als solche anzusehen und in motivationaler Hinsicht nicht erstrebenswert.
Trotzdem sollte der Spieler in Zwänge, Nöte und Chancen seiner ihn umgebenden Personen eingebunden werden.
Dafür ist ein umfassendes Rufsystem unabdingbar.
Bisherige Systeme haben vor allem die Intention dem Spieler eine Gesinnung abzunötigen und ihn in eine von mehreren Schubladen zu stecken. Je nachdem für wen man Quests erledigt, steigt so der Ruf bei der entsprechenden Fraktion. Allen Systemen gleich, ist der Fakt, dass man die Rufwerte nur durch Questerfüllung steigern oder senken kann. Das nimmt einer Stadt (typischer Handlungsort fraktioneller Entscheidungsmöglichkeit) allerdings ihren Status und verteilt die Entscheidungsgewalt auf die wenigen Hotspots der questgebenden Npc`s.
Man sollte hier ansetzen und das Rufsystem grundlegender gestalten. Jeder Npc im Sichtkreis des Spielers sollte auf seine Aktionen reagieren, wenn sie ihn tangieren.

Einige Beispiele:

– Höflichkeitsformen (Angemessene Laufgeschwindigkeit, Waffe ziehen, höhergestellte Personen grüßen, nicht mit niederklassigen Personen reden, keine unziemlichen Gegenstände mit sich tragen, Geld an Bettler verteilen, nicht nach Anbruch der Dunkelheit umherwandern etc.)
– Kleidung (Abkehr vom Funktionsbestreben der Kleidung (Rüstung) hin zur reinen Repräsentation (was auch ein vorzügliches Element zum Geldausgeben ist))
– Angemessene Nahrungsaufnahme (Erlesene Speisen ergeben einen besseren Rufwert, vor allem wenn sie im Gasthaus zu sich genommen werden)
– Das Rufsystem sollte mehrere Punkte umfassen (Gewaltbereitschaft/Friedfertigkeit, Spendabel/geizig, faul/Workaholic etc.) um eine genauere Questansteuerung zu gewährleisten.
Quests sollten nur dem Spieler angeboten werden der die Anforderungen an das Rufprofil des Npc`s erfüllt. Bei Annahme einer Quest sollte das Honorar sowie der Zeitrahmen vorher verhandelt werden können. Auf die Ausschüttung von Erfahrungspunkten sollte verzichtet werden. Eine Quest kann auch (je nach Auftrag und Rang des Questgebers) negative Auswirkungen auf das Rufsystem des Spielers haben. Je stärker die negativen Auswirkungen desto mehr Geld kann der Spieler verlangen.

Wenn eine Quest angenommen wurde dann startet der Timer in dem der Spieler die Quest erledigen muss. Dabei muss das Interface und Quest-Log so konstruiert sein, dass es den Spieler automatisch zu dem Zeitpunkt informiert, in dem er, ausgehend von seiner Weltposition, noch rechtzeitig zum Ort des Geschehens kommt.
Mit solch einer Komfortfunktion können auch problemlos Tageszeitrelevante Quests eingebaut werden ohne dass der Spieler eine Zeitskip Funktion benötigt.
Sollte der Spieler die Deadline verpassen, kann das je nach Npc Rufschädigung, Verlust der Belohnung oder weitergehende Repressionen zur Folge haben.
Ziel des Ganzen ist es den Spieler zu zwingen Aufträge zu hinterfragen und Belohnungen zu überschlagen und auf Rentabilität zu überprüfen. Er muss den Automatismus der automatischen Questerfüllung durchbrechen.

Echtes Geld und echte Tage:

Um die Bindung des Spielers zu seinem Aufenthaltsort zu vertiefen, muss er sich den Regeln der Realität unterwerfen. Dazu gehört auch das Bedürfnis nach Schlaf und Nahrung. Der Schlafplatz sowie die Essensqualität ist dabei eine Möglichkeit zu repräsentativen Auftreten. Darum hat der Spieler durch Miete einer Wohnung und Köchin Lebenshaltungskosten. In Kombination mit einem Tagesablauf, der ihn zwingt, Nachtens im Bette zu verweilen, wird dem Spieler ein Handlungsdruck aufgebürdet, der ihn davon abhält, ungebunden durch die Gegend zu streifen. Die Momente der Exploration müssen also durch Anhäufung eines monetären Polsters vorbereitet werden. Dadurch bekommen sie eine viel stärkere Akzentuierung.

Der Spieler als Questgeber:

Sobald er einen ausreichenden Rang in der Stadt eingenommen hat, wird dem Spieler die Möglichkeit zuteil, Tagelöhner anzuheuern, die für ihn Quests erledigen. Das können Handelsaufträge in einer anderen Stadt sein, das Verprügeln unliebsamer Konkurrenten oder die Übergabe selbst angenommener Quests (wenn es dem Auftraggeber nichts ausmacht). Die Tagelöhner können ausgerüstet werden und kosten ein Salär. Der Erfolg der Tagelöhner kann dann berechnet werden.

Konkurrenz:

Zeitmessung, in Form einer Abfolge von Tagen, macht nur dann Sinn, wenn man innerhalb jener Zeit bestimmte Ziele erreicht haben muss. Ein dynamischeres Konstrukt als feste Deadlines für verschiedene Zielstellungen sind Konkurrenten in verschiedenen Teilbereichen des Spieles (Frauen klarmachen, Monopole errichten, Ämter erringen, Mäzenatentum) die den Spieler immer wieder zu Höchstleistungen anspornen und ihm die Genugtuung eines „Sieges auf Augenhöhe“ bieten.

Das sind nur einige wenige Beispiele, die ich in weiteren Artikeln noch mal genauer erläutern und ergänzen werde. Ich bin mir sicher dass ein Fokus auf solche inhaltlich-atmosphärischen Elemente substanzieller und für ein Franchise herausragender sowie haltbarer ist als pure Größe, Masse und optischer Overkill.

 

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