Master Sergeant Shooter…

Ich war nie ein begnadeter Ego-Shooter. Weder in den, nach ungeduschten Jünglingen stinkenden Turnhallen noch in den kleinen, geselligen LANs längst vergangener Epochen konnte ich mich über den Durchschnitt erheben, noch meinen Freundeskreis dominieren. Vor eben jenen rechtfertigte ich meine Mittelmäßigkeit mit der Absenz unerlässlichen Zockerzubehörs wie ultraresponsiven Kabelmäusen mit individueller Gewichtsabstimmung und teflonbeschichteten Mauspads mit Nanotechnologie, vor mir selbst, mit der so, unfehlbar empirisch ermittelten Gewissheit, kein vollkommenes Kellerkind oder beschränkter Nerd (ja, damals war das noch ein Schimpfwort) zu sein.

Trotzdem, trotz der unzähligen Tode, Schusswunden, Zerstümmelungen in handliche Fleischklumpen, trotz der gigantomanischen Blutfontänen, hatte ich immer mächtig Spaß. Das Hirn arbeitet da wohl sehr selektiv, denn prägnant und präsent waren und sind nur die kurzen und äußerst flüchtigen Momente des Triumphes über die widerlichen Kellerkinder und Nerds, mit denen ich verkehrte. Und so war ich immer für jede LAN zu haben.

10 Jahre später

LAN-Party, ein Begriff wie AOL, E-Donkey oder Modem. Längst verjährt, aber noch zu jung um nostalgisch verklärt wahrgenommen zu werden.

Inzwischen bietet das Internet einen so großen, einfach zu konsumierenden Pool urheberrechtlich geschützten Contents, dass die lokalen Festplattentausch-Treffen in Vergessenheit geraten sind. Und Spielen kann man zu allem Überfluss auch noch. In diesem Internet.

Angeführt durch das geschlossene System der Xbox 360 wird Krieg gegen Gleichgesinnte zunehmend nur noch als Fernkampf ausgetragen. Diese Abkehr von der physischen Präsenz seines Konterparts hat einige Veränderungen in die, ansonsten noch immer absolut konservative Gattung der Ego-Shooter eingebracht.

Da der persönliche Bezug zu seinen Mitspielern als Motivationskomponente wegfällt, muss der Spieler anderweitig bei Laune gehalten werden. Dazu greift die Industrie derzeit auf eine Komponente des Rollenspielsektors zurück. Das Erfahrungspunktesystem.

Was den gemeinen Spieler im Singleplayer zu einem Diablosüchtling macht, muss ja auch im Multiplayer klappen, wird man sich bei Infinity Ward, dem Vorreiter des Systems, gedacht haben.

Im Sinne des verkäuferischen Geschicks hat man auch alles richtig gemacht. Schließlich erzeugt die Belohnung dessen, der exzessiv spielt, einen Sog, der, neben dem sozialen Druck, einen weiteren Baustein zum Early Adopting liefert. Durch den Zwang, möglichst schnell ab Kauf zu spielen, um keine Nachteile gegenüber erfahreneren Kontrahenten zu haben, konzentriert sich die Spielzeit auf ein Fenster direkt nach Release des Spieles, in dem eine massive Anzahl an Spielern die Server stürmt, und dabei für einen substanziellen Werbeeffekt sorgt. Auch im Hinblick auf zu erwerbende  Dlc´s ist diese konzentrierte Spielerschaft Gold wert.
Und durch ein Levelcap setzt man einen künstlichen Endpunkt. Hier ist jetzt Schluss, du bist ein Held, erwerbe bitte den Nachfolger.

Im Sinne des Gameplay ist die Entwicklung eine Katastrophe.

Beim Multiplayer ist, anders als bei Singleplayer-Spielen die Beherrschung der Spielmechanik (Kenntnis der Maps,  des Schussverhalten und des Movements) neben der allgemeinen Hand-Augen Koordination die maßgebliche Variable des Erfolgs.
Das Gameplay bildet sich aus dem kompetitiven Element der Spieler untereinander. Der Gamedesigner kann dabei nur die Rahmenbedingungen festlegen, das eigentliche Erlebnis entwickelt sich dynamisch und entbehrt der Deterministik der Spielererfahrung eines klassischen Einzelspielererlebnisses.
Wenn jetzt aber zu dem natürlichen Erfahrungsprozess künstliche Erfahrungspunkte addiert werden und diese nur für die Addition erreichter Erfolge generiert werden (getriggerte Belohnungen ab einer bestimmten Anzahl unterschiedlicher Erfolge, keine Bestrafungen oder Abzüge beim Verfehlen eben jener) erhält die Zeitkomponente eine übermäßige Bevorteilung.
Durch die Investition dieser Erfahrungspunkte in Perks (spielerleichternde Boni) transformiert sich die, lediglich unzureichende Beschreibung des Spielvermögens eines Spielers in eine Verletzung der allgemeinen Chancengleichheit und stellt damit (ähnlich wie in billigen Browsergames oder „Free-to-Play-MMORPG`s“) ein Sakrileg im substantiellen Spieldesign dar.

Offizielles Cheaten, also.

Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, auch unter Beibehaltung eines Erfahrungspunktesystems (was für Matchmaking Algorithmen ja auch durchaus ein nützliches, wenn auch, wie dargestellt, fehlerbehaftetes Instrument darstellen kann) faires Spielen zu ermöglichen.

Neben offensichtlichen Mechaniken wie den rein kosmetischen Variabilitäten bei Erfahrungsanstieg (neue Skins, neue Waffen mit gleicher Stärke, Individualisierungsmöglichkeiten) gäbe es auch weiterreichende Änderungen.

 

Folgendes Diagramm stellt dar, wie durch Spielerfahrung im Laufe der Zeit die Fähigkeiten des Spielers ansteigen.

Das Ideal einer horizontalen Gerade kann nur erreicht werden, wenn der natürlichen Progression der Erfahrungswerte designtechnisch entgegengewirkt wird.

Erfahrungsgewinne lassen sich grob in 3 Kategorien unterteilen:

  1. Mapkenntnis
  2. Waffenkenntnis
  3. Hand-Augen Koordination

Ein probates Mittel gegen das kognitive Erfassen von Spielkonstanten ist deren Randomisierung. So können im Bereich Mapkenntnis verschiedene Aspekte zufällig entworfen werden. Im simpelsten Falle sind das Respawnpunkte von Gegnern, Waffen oder Health-Packs. Komplexer wären zufällige Missionsziele (Flaggen, Bomben) bis hin zu kompletten Maps, die generisch erstellt werden.
Im Bereich der Waffenkenntnis kann entweder das Streuverhalten dynamisch verändert werden (was auch wieder ein Randomisierungsfaktor wäre) oder man stattet Waffen mit individuellen Fähigkeiten aus die mit dem Spielfortschritt schwächer werden. (Verblassen des Fadenkreuzes, längere Nachladefunktionen, Trägheit der Waffenbewegung etc.)

Die allgemeine Hand-Augen Koordination ist ein, über das Spiel hinausgehender Erfahrungsvorteil, den sich Spieler durch ausgiebiges und langes Zocken anderer Titel des Genres angeeignet haben. Die progressive Lernkurve (sowie deren Startpunkt) ist hier für den Spieldesigner nicht abzusehen und einzuschätzen (höchstens über eine grobe Ausrichtung des Spieldesigns an das anvisierte Käuferprofil). Darum gilt es, die Stärke des Spielers zu messen. Dafür werden für verschiedene Aktionen, wie bisher, Orden vergeben, nur dass diese Errungenschaften nicht durch einen kumulativen, sondern durch einen prozentualen Trigger ausgelöst werden. (Man bekommt also keinen Orden für 10 Headshots, sondern z. B. einen für  25% Headshots gerechnet auf alle Kills) Als Folge dieses Ordens muss der Spieler bestimmte Mali auf seine Charakterwerte angerechnet bekommen, um die Chancengleichheit im Spiel wieder zu gewährleisten. Trotzdem bleibt eine Motivation auf das Erreichen dieser Orden vorhanden weil sie ein echtes Alleinstellungsmerkmal darstellen und nicht so inflationär verteilt werden, wie es gegenwärtig der Fall ist.

Mit einer, immer individuell abzustimmenden Melange aus den genannten Möglichkeiten, ließen sich die motivatorischen Vorteile eines Erfahrungspunktesystems mit dem Anspruch eines fairen Multiplayertitels verbinden, der eine erheblich längere Halbwertszeit besäße, als der heutige Fast-Food-Einerlei-Shooter-Brei, der wunderbar in diesem Viral-Game der Bulletstorm-Macher parodiert wird:

 

 

2 Kommentare

  • Zustimmung, bin so froh das man die Perks noch nicht in anderen eher “Skill-basierten” Genres “entdeckt” hat. Dabei ist doch gerade das Messen mit den Pros und Kings eines Genres die erhabenste Erfahrung – selbst wenn man selbst nur Staub frisst. Highlevel gameplay zu sehen ist eine Sache, aber selbst zu erleben was möglich ist eine ganz andere.

    Dürfte hoffentlich nur eine Randerscheinung von WoW sein die irgendwann wieder in der Versenkung verschwindet.

    • Stimmt. Es gäbe noch einige Genres und Spiele die man so vergewaltigen könnte. Mortal Kombat z.B. Kicks ab Level 5, Autoheal ab Level 15 und Fatalities ab Level 20. Das sollte man den Entwicklern mal stecken. ;-)

      Ansonsten volle Zustimmung. Wobei dieser Perk-Quatsch immerhin den Vorteil einer Ausrede beim gnadenlosen Verlieren hat. Ähnlich dem reflexartigen Cheatergeschrei…

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