Schnellschuss der Zweite: Wii U

Nintendo, die letzte Bastion der Chinaspielzeughersteller im, zur multimedialen Wohnzimmertechnisierungsreligion mutierten Videospielgeschäft, lud jüngst zur E3-Pressekonferenz um Investoren und Spielern den Pfad zu neuen Verkaufsrekorden zu weisen. Wie sehr man dabei mit dem Rücken zur (selbstgemauerten) Wand steht sollten die folgenden 90 Minuten zeigen.

Ausgerufen als Schlacht um die verloren gegangene Spielerschaft unter Beibehaltung der Masse an businessfernen Randgruppen, blamierte sich der vermeintliche Innovator Nintendo nicht nur durch einen völlig austauschbare und sinnentleerten Vortrag, nein, viel schlimmer, auch das neue Konzept der „Wii U“ zeigte die gleiche Vagheit.

Nintendo, als auf Videospielunterhaltung fokussiertes Unternehmen, hat seit jeher den schwerwiegenden Nachteil nicht Teil eines Großkonzerns zu sein der mögliche Misserfolge durch Rabattierungen und Subventionierung der Hardware auffangen kann, und dessen Primärziel nicht großartige Spiele, sondern Markenpräsenz im Wohnzimmer des Spielers darstellt.

Deshalb ist es nur folgerichtig  kostenoptimierte Kompromisse im Hardwaredesign durch innovative und marktfremde Features auszugleichen.

Innovation ist dabei nicht Objektiv zu definieren, sondern ein auf den eigenen Erfahrungshorizont beschränktes Wahrnehmungsempfinden. Ist etwas für mich neu und erscheint es mir sinnvoll dann sehe ich es als innovativ an. Ich bin als Unternehmen also umso innovativer je weniger Menschen die Grundidee kannten und je mehr Menschen ich mit dieser Idee erreichen kann.

Ein gigantischer Erfolg im Sinne dieser Innovation war Nintendos aktuelle Konsole: Die „Wii“. Sie synthetisierte Kernelemente der mannigfaltigen Spiel-Peripherie der Arcade-Automaten, um sie vereinheitlicht in der Wii-Remote als kleinster gemeinsamer Nenner unters Volk zu bringen. Dass man das Design an eine Fernbedienung anlehnte und die ganze Geschichte kabellos zu bedienen war, waren weitere geniale Elemente um den Massenmarkt zu bedienen.

Ein weiterer Meilenstein in der Nintendo-Historie war und ist der Nintendo DS. Er nahm die Mechanik des Touchscreens und zweckentfremdete sie zur spielerischen, direkten Erfassbarkeit des Dargestellten. Diese erste Umsetzung einer Gestensteuerung die zudem unmittelbar unter den Fingern des Spielers in eine Aktion mündete war genauso neu wie befriedigend. Der zweite Screen, wiewohl durchaus pfiffig als Ausgabefenster ohne Fingerverdeckung erdacht, war ein konzeptioneller Fehlschlag. Denn ein Touchscreen bedingt durch dessen fehlende Haptik eine Optische Überwachung der Eingabe. Und damit den Fokus auf den Screen auf dem man auch agiert. Und so waren die Spiele die beide Screens sinnvoll einsetzten auch an einer Hand abzuzählen.

Interessanterweise setzte sich der Doppelbildschirm im 3Ds fort. Obwohl er hier noch viel weniger Sinn macht. Braucht das Fokussieren auf den 3D Effekt doch eine ganze Weile und stört das immersive Erleben beträchtlich. Aber gut: Mit dem unaufhaltbaren Erfolg der Touch-Devices von Apple oder Android im Nacken, ist der 3Ds auch nicht mehr, als ein, durch ein Alleinstellungsgimmick aufgewertete Fortführung eines konventionellen Designs. Das durch einen angesagten Effekt in Verbindung mit Markenbekanntheit auf schnelle, aber wenig nachhaltige Käufersuche geschickt wurde. Ein Schnellschuss. Der erste.

Nun kommt also die „Wii U“. Eine Handheld/Konsolen Hybrid der auf der Welle der Touchdevices schwimmt, 3rd-party Entwicklern durch technische Ebenbürtigkeit zu Xbox360 und Playstation 3 entgegenkommt und dessen Designteam davor wohl Krankenhausinstrumente entwarf.  Oder aber in Hinblick auf ein zu erscheinendes Facelifting namens „Wii U slim“ exzellente Vorarbeit geleistet hat. Fast so gut wie beim ursprünglichen Nintendo DS.

Und wird das Gerät nun ein Erfolg, möchte man fragen? Das Design wird dem sicherlich nicht entgegen stehen. Schließlich stellen sich Gamer auch Collectors Editions ins Regal und präsentieren mit Stolz ihre Spielesammlungen. Neben dem noch unangekündigten Preisgefüge (man spricht von über 250€) werden neben dem obligatorischen Spiele-Lineup vor allem die Unique Selling-Points  ausschlaggebend sein.

 

Zeit also, sich die Proof of Concepts mal näher anzuschauen:

 

  • Streaming des Spielinhaltes auf den Touchscreen

In der weißen, unaufdringlich wohlgekleideten Nintendo-Familie mit ihrer sanft durchrührten ethnischen Zugehörigkeit und immer fröhlichem Gemüt, gibt es in deren 200m² Wohnungen scheinbar immer nur einen Fernseher. Drum ist es unabdingbar und im Sinne des Familienfriedens dass man sein Spiel vom Elternfernseher nimmt, wenn diese ihren Intellekt an Sendungen wie Frauentausch stoßen möchten. Man sieht: Das Verwendungsszenario ist ein äußerst eingeschränktes. Und zudem ein Verlustbehaftetes. Denn wir kaufen unsere 42“ Glotzen nicht nur weil uns die Industrie dazu zwingt und der Elektronikmarkt unablässig nicht abzulehnende Angebote macht, nein, wir schätzen die Farbbrillanz sowie die Größe des Tv`s. Und die haben wir auf dem Touchscreen mit seinen 6,2“ nicht mehr. Zudem bedeutet diese Umsetzung für den Hersteller einen nicht zu unterschätzenden Mehraufwand: Da man davon ausgehen kann dass der Controller kein Full-Hd darstellen wird, muss eine komplette zweite GUI für das portable Spielen geschrieben werden. Und das für einen absoluten Spezialfall. Und was passiert wenn auf dem Touchscreen erweiterte Befehle/Informatioenen liegen sollten? Brauche ich dann einen Controller für den Controller?

  • Erweiterte Informationen auf dem Touchscreen

Menüstrukturen in Konsolenspielen sind ja seit jeher eine recht hakelige Angelegenheit. Denn sie bilden eine grafische Oberfläche ab auf deren Abbild ich nur an bestimmten Hotspots interagieren kann. Mit den Richtungstasten scrollt man durch diese, meist recht konfuse Anordnung von Spots. Die Alternative ist ein frei bewegbarer Cursor der aber durch die fehlende Präzision und die ausgeprägte Trägheit  eines Analog-Stickes nur sehr behäbig zu bewegen ist. Was läge also näher dieserlei Funktionalität auf den Touchscreen auszulagern?

Nun, es ist die Gleichzeitigkeit der Informationsanzeige auf beiden Ausgabegeräten und das fehlende Wissen des Spiels auf welchen von beiden Screens ich mich gerade konzentriere.  Bei jetzigen Spielen pausiert das Spielgeschehen fast immer wenn ich etwas in den Menüs zu erledigen habe. Und wenn es nicht pausiert, dann sehe ich unter dem halbtransparent über das Spielgeschehen gelegte Menü das eigentliche Spiel trotzdem noch. Das ist bei einem Touchscreen nicht gegeben.

Zudem können Steuerungserweiterungen nie blind auf einem Touchscreen ertastet werden. Quicktime-Events mit Blick auf die Tasten weil man deren Symbole in Verbindung mit der Lage auf dem Gamepad noch nicht verinnerlicht hat, sind das wohl nervigste Element eines Spieles. Genau dieses Gefühl wird sich einstellen wenn man erweiterte Steuerungsmöglichkeiten auf  den Touchscreen legt. Zwischen Display und Controller liegen in der Regel 3m. Da geht das fokussieren bei weitem nicht so schnell wie bei einem „Nintendo Ds“ mit seinen unmittelbar übereinander liegenden Screens.

Äquivalent zu dem Nintendo Ds werden wir also sehr viele unnütze Informationen (Karte, Statistiken,Waffenabbildungen etc.)auf diesem Screen abgebildet sehen. Wobei wir dessen Informationsgehalt nur in den seltensten Fällen aktiv wahrnehmen  werden. Eine Mechanikimmanente Bestückung dieses Screens wird die absolute Ausnahme bilden. Machen wir uns also gefasst auf Codeknack-Minispiele und Türöffnungs-Bewegungen ala Sixaxis.

  • Interaktion des Controllers mit dem Fernseher

Wir stellen uns vor: Ein Adventure, in der Neuzeit spielend. Wir als Protagonist mit der Gabe befähigt 50 Jahre zurück zu blicken. Die zu lösenden Rätsel ranken sich um (geographische, architektonische oder bauliche)Unterschiede zwischen der damaligen  und der heutigen Zeit. „Durch“ das Controller-Display tasten wir die heutige Szenerie ab, und sehen an deren Stelle den Zustand von vor 50 Jahren. Durch Vergleiche der Bildinformationen lösen wir spannende Rätsel.

Anderer Fall: Wir sind ein Detektiv  am Tatort und müssen die Todesursache einer Leiche bestimmen. Mittels unseres Touchscreens können wir in Schichten durch Kleidung, Haut bis auf die Knochen sehen. Wir schauen uns Strangulationen und Knochenbrüche an und machen mit dem Gerät gleichzeitig Fotos die der Beweissicherung dienen.

Klingt alles wunderbar innovativ. Klappt aber leider nicht. Das Gefühl ein mit dem Fernseher interagierendes Gerät in der Hand zu halten bedingt dass mein Controller nur einen Ausschnitt des Fernsehbildes zeigt den ich durch Schwenken und Bewegen verschiebe. Das ist bei der Controllergröße (6,2“ + die Breite zweier haltender Hände) in Relation zur Fernsehgröße (angenommene 46“) auf eine Distanz von 3m aber nicht möglich. Halte ich den Controller vor den Fernseher, verdecke ich ihn vollkommen. Die Alternative lautet sich einen Beamer zuzulegen oder direkt vor dem Fernseher rumzuhampeln. Im Sinne der Zugänglichkeit ist beides eine Katastrophe.

Was natürlich geht sind Anwendungsfälle in dem ich dem Fernseher durch Gesten auf dem Touchscreen etwas „zuspiele“, weil man den Controller hier in der Regel waagrecht hält. Da man hier aber den Richtungsvektor einer Geste, ausgeführt auf einem 6,2“ Gerät, auswerten und auf einem großen Fernseher  in noch größerer Entfernung fortführen muss, dürfte die Genauigkeit (nicht die technische sondern die vom Spieler auszuführende) sehr zu wünschen übrig lassen. Ohne unterstützende Algorithmen (aka Auto-Aiming) bleiben hier nur noch Casual-Titel mit übergoßen Zielen. Wie in der E3-Präsentation anhand zu schubsender Ninja-Sterne gezeigt.

  • Asymmetrischer lokaler Multiplayer

Ein von seinen Mitspielern unabhängiges Display zu haben mit dessen Hilfe man einen Spielzug geheim halten, oder das Spiel aus einer anderen Perspektive betrachten kann, klingt sehr interessant. Wichtig nur im lokalen Multiplayer (Online hat eh jeder sein Display) können daraus neue, spannende Konzepte entstehen. Könnten. Denn hätten theoretisch längst auf jeder anderen Konsole entstehen können. Mit der (verkäuferisch unwichtigen) Einschränkung keinen lokalen Multiplayer anbieten zu können. Entstanden sind trotzdem keine tollen Spiele. Warum sollte also ausgerechnet die „Wii U“ hier glänzen?

Asymmetrischer Multiplayer als Partyspielform hat auch ein weiteres Problem. Sie schließt einen Spieler vom unmittelbaren Zusammengehörigkeitsgefühl aus. In der Unmittelbarkeit des Spaßes miteinander rangieren Splitscreen-Spiele vor Lan-Partys vor Online-Gaming. Die Möglichkeiten der „Wii-U“ verquicken den Erlebnishorizont des Splitscreens und des getrennten Gamings einer Lan-Party. Dabei löst sich die Gleichförmigkeit der Perspektive (alle Spieler sehen alle und partizipieren an allen Erregungsmomenten) sowie die Vergleichbarkeit der Leistungen (jeder macht das Gleich unter gleichen Voraussetzungen) auf. Im Sinne des kompetitiven Elementes also auch nicht unproblematisch.

 

 

Was bleibt abschließend zur neuen Nintendo-Konsole zu sagen? Man kommt nicht umhin zu bemerken dass die Veröffentlichung der Informationen zu früh geschah. Nintendo hat äußerst erfolgsverwöhnte Investoren und durchlebt gerade einen beispiellosen  Einbruch in den Verkaufszahlen. Statt diese Entwicklung aber als natürlich anzusehen und die rückläufigen Erträge als Folge einer Marktsättigung und einer Normalisierung der Verkaufslage zu sehen, geht man forsch voran und präsentiert ein konzeptionell sehr halbgares Produkt.  Mit der technischen Ausstattung erkauft man sich nur kurzfristigen 3rd Party Support. Denn bei Auslegung der großen Engine-Evolutionsstufen auf Nextgen-Devices wird sicherlich nicht Nintendo den Benchmark stellen. Und somit wird mit Erscheinen der neuen Microsoft/Sony Konsolen Nintendo abermals ins Hintertreffen geraten. Nur dass diesmal keine revolutionäre Bewegungssteuerung sondern  eine  genauso leicht wie billig zu imitierende Touch-Ausrichtung das Alleinstellungsmerkmal bildet. Irgendiwe ein Schnellschuss. Der Zweite.

 

 

3 Kommentare

  • Einspieler schrieb:

    Toller Kommentar zu WiiU!
    Gerade der Fokus auf den vermeintlichen Spielevorteil trifft das Konzept richtig ins Herz. Das wird ne schwierige Kiste für Nintendo. Die müssen ganz schnell auf der GC und TGS neue Spielkonzepte liefern, das Meinungsbild fängt ja jetzt schon an umzuschlagen. Es erinnert für mich sehr stark an die PS3 Einführung Sonys. Nur, wie du schön geschrieben hast, die konnten das durch andere Sparten auffangen, Nintendo hat zwar seinen Geldspeicher, verschlucken können sich die trotzdem. Vor allem weil der 3DS vermutlich nicht so einschlägt, wie geplant. Und die Konkurrenz ist ja inzwischen auch größer geworden, nicht nur Apple, Sony, Microsoft, letztlich wildert ja auch Google langsam in dem Feld mit. Spannend, spannend.

  • So, jetzt auch endlich mal zum Lesen gekommen. Ich bewundere ja Deinen geschliffenen Stil. Liest sich anspruchsvoll und zugleich unterhaltsam. Insbesondere hierbei musste ich lachen:
    “Drum ist es unabdingbar und im Sinne des Familienfriedens dass man sein Spiel vom Elternfernseher nimmt, wenn diese ihren Intellekt an Sendungen wie Frauentausch stoßen möchten.”

    Ansonsten teile ich Deine Ansichten vollkommen. Der neue Controller krankt an dem Problem, zwanghaft etwas Innovatives verkörpern zu müssen, dabei aber keine WIRKLICH sinnvollen oder Spielerlebnisse aufwertenden Features bieten zu können. Das macht ihn unter’m Strich so überflüssig wie ein Kropf.

  • Link_01 schrieb:

    Danke für Deinen interessanten Kommentar. Ich bin auf der Suche nach Alternativen zu bereits bekannten Spieleseiten auf Deinen Blog gestoßen, weil ich es einfach leid bin, den immer gleichen, möglicherweise aufgrund von zunehmender Kommerzialisierung zu unbedingter Massentauglichkeit verurteilten “Artikel- und Spielekritiken-Einheitsbrei” zu lesen. Dein Blog ist ein schönes Beispiel, wie man auch bereits bekannte Themen dennoch aus einem anderen Blickwinkel betrachten kann.

    Einen Kritikpunkt habe ich dennoch: vielleicht gerade, weil Du einen sehr angenehmen und flüssigen Schreibstil hast, fällt es mir beim Lesen besonders auf, dass Du fast Keine Kommas setzt – und das stört gerade bei längeren Sätzen doch sehr. Gerne kann ich hier hin und wieder als “Drüberleser” fungieren und die fehlenden Kommas einfügen. Wenn Interesse besteht, melde Dich einfach.

    Grüße
    Link_01

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