Meine Schublade ist kleiner als deine

Weithin gilt das Kategorisieren in Schubladen, das Unterteilen in feste Bereiche deren Grenzen wir durch moralische, praktische oder unterscheidende Punkte abgesteckt haben als einfältige und verachtenswerte Eigenschaft niederintelligenter Individuen. „Das Genie überblickt das Chaos“ geben wir altklug in die Runde während unsere Hände das vor uns liegende Resultat purer Faulheit in weiten Kreisen umschreiben.
Und schaffen dabei doch nur eine weitere Kategorie höherer Ordnung in der wir Chaos mit Genie verknüpfen und ihr die Eigenschaften unseres Selbst zuschreiben.

Es ist nie sonderlich geschickt gegen die Natur und Struktur unseres Gehirns zu argumentieren. Und so sollten wir im Eigeninteresse das Klischee des chaotischen Genies dahingehend revidieren dass es die Starre und Festgefahrenheit der eingeprägten Kategorien ist deren wir uns schämen sollten, und denen der Kampf anzusagen, im Hinblick intellektueller Erleuchtung, anzuraten ist. Je nuancierter wir Eigenschaften wahrnehmen, je diffiziler unsere analytische Fähigkeit der Aufspaltung verschiedener Teilaspekte ausfällt, desto leichter fällt es unserem Hirn Brücken zwischen hirnregional weit entfernten Kategorien zu schlagen. Und wir wissen alle: Die Dichte der neuronalen Verknüpfung ist es die es uns erspart uns auf der Suche nach vergorenen Früchten von Baum zu Baum zu schwingen. Wir, Krone der evolutionären Schöpfung, holen unser Bier aus dem Kühlschrank.

Wir Spieler, die als Zwittertier in einem komischen Spagat bei einem unvergleichlich schnell fortlebenden Fortschritt Schritt halten müssen, und uns gleichzeitig in der Bewertung der angebotenen Unterhaltungsformen dem konservativen Diktat der Fachkategorisierpresse unterworfen haben, leben die Kategorisierung. Aber so beständig der Fortschritt, so fließend die Spielgestaltung. Von den ehemals festzementierten Grenzen der Genres bröckelt beständig  die Substanz, Trends höhlen das Fundament, das gerüstbildende Stahlträgergeflecht korrodiert in Einsamkeit vor sich hin. Und manchmal ergibt sich das ehemals stolze Gewerk den unnachgiebigen und an ihm zehrenden Kräften der Zeit, und stürzt lautlos in sich zusammen. Nur um im letzten Aufbegehren noch die in seinem Schatten dahinsiechenden Koryphäen vergangener Tage unter sich zu begraben (Adieu Mick Schnelle).

In der Einsicht, dass ein Aufbegehren gegen das Diktat der Zeit nur in der unbefriedigenden Ecke der retroesken Nerdecke, mit der Beschränktheit ihrer Themen auf schon Erlebtes (zudem: in 50hz und 16-bit) enden kann, versöhnt man sich mit den Strömungen der Moderne, und sucht sich im unübersichtlichen Strudel eines übersättigten Marktes seine Nische. Ehemalige Grabenkämpfe, Pc vs. Konsole, Zufallskämpfe vs. Spielgestaltung, Runde oder Echtzeit, versinken in Bedeutungslosigkeit und machen einer feingliedrigeren Untergliederung der angebotenen Gameplayelemente Platz. Und während der Zauber der einstig so unbeirrbar klaren, wie in Stein gemeißeltenDiskussionsgrundlage schwindet macht sich das sämig dahinfließende Gefühl der Weisheitsmehrung durch Erfahrungsgewinn breit. Nicht annähernd so adrenalisiert, sondern besonnen und altersmilde lächeln wir nun über eifrig geführte Diskussionen um Nichtigkeiten, und fühlen uns, nicht ohne Schmerz, von der uns lange Zeit bestimmenden Kategorisierung befreit.

Was wir dabei nicht beachten: Die Kategorisierung der Wahrnehmung des Spieles als ein Vertreter einer bestimmten Art haben wir durchbrochen. Wir vergleichen bestimmende Gameplay-Elemente mit anderen Vertretern dieser Art und schaffen so einen Zugehörigkeitsindex.

Die Kategorisierung im Spiel im Bereich der Kompartimente Grafik, Steuerung, Sound und Mechanik nehmen wir aber weiter als gegeben hin. Und was viel schlimmer wiegt: Auch die Spieleautoren (neudeutsch: Gamedesigner) haben sich diesem Diktat unwissend unterworfen und frönen dessen Einfachheit. Berufsbilder wie Abteilungen werden dieser Trennung unterworfen was in Spielerfahrungen resultiert die der allgemeinen Norm entsprechen, deren Struktur aber einen spielerischen Stillstand erzwingen. Man kennt die Geschichten in denen den Story-Writern ausgearbeitete Szenarien samt Laufwegen der Spielfigur vorgelegt werden, und deren Aufgabe es in den letzten Monaten vor Release ist, das Produkt in eine spannende Story zu hüllen. Addiert man hier vollkommene Talentlosigkeit, Schlafentzug sowie einen bunten Drogencocktail, mag man die Entwicklungsgeschichte eines „Call of Duty: Modern Warfare“ erahnen.

Nähern wir uns dem Thema mit einem Beispieltitel, der jüngst auf Polyneux reviewt wurde:

 

Alice: Madness Returns

Erwartungshaltung:  Man dringt in Alice Psyche, beschrieben und ausgestaltet durch das Wunderland ein. Es erwartet einen ein levelarchitektonisches Albtraumkonstrukt das der Flüchtigkeit der Traumgedanken durch dynamische Anpassung der Baulichkeiten Rechnung trägt, und dessen Charakteristik sich durch die emotionalen Ausbrüche der Protagonistin passend färbt.

Angebot: Eine auf grafische Opulenz getrimmte Breitbild-Panorama-Kulisse die eine solide, beständige und scharf herausgearbeitete Spielwiese darstellt die Raum für erlernbare und wiederkehrende motorische Reaktionsübungen bietet.

 

Dieser Kulissengedanke, verbunden mit einer einfach erlernbaren Interaktivitätskomponente ist Basis beinahe jeden Spieles. Während im Film sekundengenau mittels Storyboard festgelegte Aktionen stattfinden in denen Kulissen nur als auf den Bildausschnitt ausgerichtete Immersionsverstärker dienen, und nicht selten in der Tiefenschärfe verschwimmen, dient die Kulisse in Spielen als aufwändig gebaute Welt. Nicht ohne Grund, denn die Bewegungsfreiheit eines Spieles verhindert eine genaue Planung und Dramatisierung. Die Kulisse nimmt in dem Maße an Bedeutung zu je mehr Bewegungsfreiheit das Spiel vermitteln will. In beiden Richtungen gibt es Extreme. Von einer vollständig ausgestalteten Welt wie in „Minecraft“ zu dem figurenbezogenen Quicktime-Kolloss eines „Heavy Rain“

Was eine Kulisse aber von einer „durchlebbaren Welt“ trennt ist deren einziger Zweck einer optisch gefälligen Umgebung. Es fehlt die Verzahnung mit den anderen Teilbereichen des Spieles. Während in grafischer Hinsicht (animiertes Gras beim Durchschreiten, wegflatternde Tauben beim Näherkommen) und im Bereich Sounddesign (verschiedene Geräusche auf verschiedenen Untergründen, realistische Schallberechnung) die Verzahnung mit der Gesamtheit der Spielelemente bereits begonnen wurde wird das Gameplay gerne ausgeklammert.

Die Herausforderungen die ein Spiel an uns stellt, sind immer durch das Gameplay definiert. Wir reden dabei immer von einem binären Muster, einem „If->Then“, wobei das „Then“  unseren Bildschirm in der Regel blutrot färbt. Bei jedem kompetitiven Körnchen in der vollgestopften Sanduhr der Spielwelt stehen wir am Abgrund des Scheiterns. Allein statistisch lässt sich daher folgern dass die Herausforderung des einzelnen Kampfes minimal ausfallen, oder die Quickload Taste über die Maßen beansprucht werden muss.

Die Folge müsste daher lauten kompetitive Elemente zu minimieren oder die Konsequenz des Scheiterns zu mindern.

Schon die alten Mario-Spiele boten die Möglichkeit verschiedene Routen durch die zweidimensionalen Sidescrolling-Welten zu nehmen. Gemeinhin war die Route erfolgreicher die näher am oberen Bildschirmrand entlangführte. Deren Bewältigung kostete aber auch das beste Timing und die lückenloseste Beherrschung des Controllers. Bei Verlassen dieser Route konnte man das Level aber genauso schaffen. Es entgingen einem lediglich einige Belohnungen.

Wenn die Konsequenz des Nichtbestehens einer angedachten Prüfung den Spieler in seinem Spielfortschritt nicht hemmt dann können die einzelnen Elemente bedeutend komplexer und befriedigender gestaltet werden.

Allerdings reicht es in den heutigen großartig gestalteten dreidimensionalen Umgebungen nicht mehr verschiedene Routen zu setzen und Bonusitems zu verteilen. Es braucht eine schlüssige Argumentation die eine Folge aus dem Scheitern der Prüfung zieht. (Nein, eine süße Elika die vorm Todessprung Händchen hält und als fliegender Respawn dient, reicht nicht aus)

Eine Traumwelt wie in Alice bietet eigentlich alle Möglichkeiten sich kreativ ausleben zu können. So könnte Alice bei einem fehlplatziertem Sprung eine Traumebene tiefer auf der anvisierten Plattform auftreffen. Wobei sich die Traumebenen durch ihre Farbigkeit und Ausleuchtung unterscheiden. Durch schnelle, fehlerlose Sprungkombinationen könnte die Welt danach wieder bunter und heller werden.

Ein weiteres Kernelement guten Gamedesigns ist die Kontrollierbarkeit und Fairness seiner Aktionen. Im Bereich der surrealen und fließenden Träume kein probates, sondern eher ein hinderliches Mittel. Denn was ich erlernen kann gibt mir Vertrauen. Und was Vertrauen schafft negiert meine Hilflosigkeit und Angstgefühle. Und die sollten in einer Traumwelt doch vorherrschend sein. (Ein Übel an dem auch Alan Wake zerbrochen ist).

Auch hier ist eine Durchlässigkeit fürs Scheitern eine elegante Lösung dem Spieler zu einfache Spielkonstrukte vorzuenthalten und ihn durch alternierende und abwechslungsreiche Vorgänge zu beschäftigen. Wichtig ist dabei nur dass dem Spieler nicht der Eindruck entsteht seine Taten seien Bedeutungslos.

Eine im Bereich des Kampfes interessante Mechanik wäre z.B. dass Alice bei jedem erlittenem Treffer ein wenig größer wird. Mit zunehmender Körpergröße wird sie stärker (der Kampf wird also leichter) sie kann aber nicht mehr so gut springen und muss daher Levelrouten benutzen die tendenziell nach unten (ins dunkle ihrer Alpträume) gehen. Will sie kleiner werden muss sie einen ihrer im Koffer mitgeführten lieben Andenken opfern. Diese erzählen dann jammernd bis zum Ende des Levels ihre trostlose Lebensgeschichte samt Alice Verrat an ihnen.

Es wäre schön, wenn das Gameplay samt, dessen Kampfsystem nicht mehr verkopft in getrennter Weise vom Leveldesign und der Grafikgestaltung, sondern wenn die Levelerstellung durch einen integrierten Prozess aller Abteilungen stattfinden würde. Die Gestaltung einer Welt als Erlebnis und nicht nur einer Basis für auf ihr stattfinden Prozesse ist genauso anzuraten wie die Abkehr von den ständigen Ereignissen mit lauernder Todesfolge. Denn die Kompromisse die man dafür eingehen muss katapultieren jedes noch so teuer erstellte Produkt in die Beliebigkeit der Spielmasse.

 

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