gespieltes Fernweh

Du könntest mal wieder was schreiben, geht es dir durch den Kopf, während du deinen verweisten Blog sichtest. Tumbleweed weht einsam über den Header, zaghaft, spielerisch. Als wolle er die in ihrem Tun erstarrten Kinder aus ihrer Vereisung lösen.

Das unbeteiligt Immerstrahlende Licht des tagnachtaktiven Internets bleicht die vielen ehemals schwarzen Lettern, die, in dekorativen Grüppchen traute Geselligkeit suchend den Contentbereich besiedelten und von längst verjährten Geistesanstrengungen zeugen.

Der dunkle Footer liegt träge in der Sonne. Schwer sind ihm die Glieder geworden, beständig zerrt die Schwerkraft an seinem Gemüt, kalt ist es ohne die wärmenden Füße, die er lange in dem wohligen Gefühl der Geborgenheit umschloss. Nun liegen dort nur noch die achtlos zurückgelassenen Filzpantoffeln in ihrer kratzig-billigen Schäbigkeit. Ein trocken modriger Geruch umgibt das Stillleben vergilbter, mit handschriftlichem Eifer beschmierte Briefumschläge, die von längst eingegangen Brieffreundschaften zeugen.

Und dann gehst du auf Themensuche.

Umschiffst mit Mühe die Archipele der zielgruppenfokussierten und massenmarktfixierten Großproduktionen, weil du weißt, dass deine Gedanken und Erläuterungen mit ihren unfokussierten Hasstiraden und beliebigen Allgemeinplätzen das Muster der Angeklagten teilen werden.

Umgehst die bequeme Autobahn der Rezension, weil dir an deren Ende der Spott und Hohn deiner elitären Leserschaft entgegenschlägt, wichtiger aber, du dich bewusst in den Reigen der unbewusst Werbenden einreihst, ohne vor dir deinen Anspruch auf eine Berechtigung deines Mitteilungsbedürfnisses erfüllen zu können.
Und so kraxelst du unbeholfen auf angedeuteten Pfaden durch die Wildnis und hoffst auf beglückende Beute. Eine solche der du mutig die Machete in den Hals rammen kannst, die zu erlegen, zerteilen, tranchieren und zu sezieren dir möglich und lohnenswert erscheint. Und deren innere Logik, deren Zusammengehörigkeit und Abhängigkeit einzelner Kompartimente, sich dir, nach schweißtreibenden und blutigen Stunden ehrlichen Handwerkes, rückhaltlos offenbart.

Und du schreibst es nieder. Hoffst auf Resonanz. Und empfindest Freude ob der Gewissheit, das Internet um einzigartigen Inhalt bereichert zu haben.

Oder aber dich umgibt eine unbestimmbare emotionale Bindung zu einem Sachverhalt, dessen Existenz du weder leugnen, noch zur Gänze logisch erfassen kannst. Deren Nachweis und Beschreibung immer nur in persönlichen Beispielen zu beschreiben ist und der sich damit der objektiven Nachvollziehbarkeit entzieht. Dessen Vorhandensein scheinbar keiner spielmechanischen Komponente entspringt und der gleichfalls nur unbewusst geschaffen wurde. Und der von seiner Bedeutung doch so prägnant ist, dass er den Unterschied zwischen der Üblichkeit des postzockenden Vergessens und verklärten „Magic-Moments“ Erinnerungen ausmacht.

Und dann … dann schreibst du trotzdem darüber. Gestehst dein Versagen des Kategorisierens öffentlich ein. Und tröstest dich mit den Zeilen eines ziemlich talentierten Sängers, der da vor sich hinbrabbelt:

 

Groß ist nur, was man nicht erkennen kann, und größer noch, was man nicht begreift
(Sven Regener, Titel: die Hoffnung die Du bringst, Album: Romantik, Band: Element of Crime)

 

Die Rede ist von Fernweh-Empfindungen in Computerspielen. Dieses, sich unverhofft in die Magenwand drückende Gefühl der unerfüllbaren Sehnsucht nach dem Abbild einer als Wirklichkeit wahrgenommenen Szenerie.
Das Gefühl in der angebotenen Optik aufgehen zu müssen, dieses bedingungslose Nachempfindungswollen zieht sich auch durch Spielewelten, wildert in verschiedenen Genres und ist eine der schmerzlichst schönen Emotionen die ein generisches Kunstprodukt aus Einsen und Nullen zu Generieren imstande ist.
Eine absolut erstaunliche Leistung, bedenkt man dass solche Emotionen von einem Medium getriggert werden dass in seiner sozialen Komplexität von jeder Krabbelgruppenzusammenkunft in die Schranken gewiesen, und dessen optische Integrität bei jeder noch so oberflächlichen Objektanalyse mit Füssen getreten wird.
Doch woher kommt diese Gefühlsregung? Ist sie reproduzierbar? Welche Parameter triggern sie? Welche Anforderung stellt sie an die Spielwelt? Und welche Genres können als Träger herhalten?

 

Dazu 3 Fallbeispiele:

 

Sim City 3000:
Eine Mechanik die sich seit Will Wrights ersten Gedankenspielen kaum verändert hat, eine eher rückständige Grafik ohne technische Highlights, ein straffes isopersepektivisches Raster ohne freies Kamera-Movement, ein Verzicht auf eine spielerbezogene Kampagne, keine direkte Spielkontrolle.
Ich habe es geliebt. Und ich ging verloren in den Häuserschluchten von mir grob angestoßener aber nicht in Eigenverantwortung hochgezogener Bauprojekte. Unbeirrt verfolgte ich die einzelnen Autos und inspizierte die Fahrtwege der einzelnen Bewohner „Epohausens“. Im vollen Bewusstsein und gleichzeitigem Leugnen des lediglich die Verkehrsauslastung anzeigenden Autoverkehrs. Ich inspizierte grünbewachsene und reichlich poolbestückte Speckgürtel, heruntergekommene Gettos tristbrauner Klinkerarchitektur und hochglanzverspiegelte Funktionsarchitektur der Hochfinanz. Jede Ecke, jeder Bezirk erzählte mir Geschichten gewöhnlicher Menschen mit gewöhnlichen Problemen in gewöhnlichen Behausungen. Unprätentiös, bescheiden und beliebig. Und damit so unnahbar querschnittsbildend wie ein Blick auf DEN Fernweh-Benchmark EarthTV.
Mit dem Fokus auf ein strukturell glaubwürdiges Stadtbild und einer Reduzierung der Optik auf die erprobte Stilistik des Modellbaulooks, ist „Sim City 3000“ nach wie vor ein Fernwehgarant. Weit mehr als beispielsweise ein „City-Life“, das technisch wie stadtbildlich durch geschwungene Straßenverläufe und moderner 3D-Grafik weit fortschrittlicher daherkommt. Warum? Schwer zu sagen. Vielleicht weil die modernen Kamerawerkzeuge eine eingehende Untersuchung der polygonalen Strukturen ermöglichen und so eine Reduktion auf das Technische entsteht. Je expliziter die Darstellung, desto eingeschränkter die Imaginationsmöglichkeit, womit sich die dilettantisch simulierte grafische Staffage mit meiner mannigfaltigen Fantasie messen muss. Wir kennen den Sieger.

 

Mafia 2:
Open-World Games in Großstädten gelten wohl unbestritten als die dankbarsten Trigger des Fernwehs. Simulieren sie in ihrer Struktur doch den Kurztrip in eine fremdartige Metropole. Und trotzdem könnte das Erleben nicht unterschiedlicher nicht sein. War GTA (ja das olle “DMA-Design” 2D-Topdown Teil mit den Telefonzellen und den bunten Reifenspuren) noch ein echter Magenkrampfer, rang mir der neuste Teil der Serie (sowie Teil 3 und 4) keine emotionalen Momente ab. Was war geschehen? Rockstar entdeckte das Geschichtenerzählen. Band mich ein in eine Spielwelt. Lies mich in eine Rolle schlüpfen. Entdeckte den Sarkasmus, die schamlose Übertreibung und den Klamauk. Und verbot mir eine emotionale Distanz zum Erlebten, riss mich aus meiner Beobachtungsrolle, pulte mich aus dem Korsett des Regelwerkes dass von nun an alle Partizipanten meiner Umwelt umschloss. Alle. Bis auf mich.
Punkte die auch alle auf “Mafia 2″ zutreffen. Und trotzdem ist es ganz anders. Denn es bringt eine zeitliche Progression in die Spielwelt ein die sich grafisch in einem Jahreszeitenwechsel bemerkbar macht. Man startet in tiefem Schneetreiben, erlebt ein leises, gedämpft und familiär klingendes Umfeld voller unwichtiger Details dass einem durch ein striktes Regelwerk (Geschwindigkeitslimit, das Nahelegen des Nutzens des eigenen Autos) einer Sonderstellung beraubt. Das einen Eins werden lässt mit den schwer bemantelten Gestalten auf den glatten Straßen. Dass einen eine vergangene, und damit vergleichsbereinigte Epoche leben lässt und durch eine wunderbare musikalische Untermalung die repetitiven Atmosphärespender (die ellenlangen und spielbestimmenden Autofahrten) vergnüglich macht.
Davor und danach regiert die Beliebigkeit einer konzeptionell schlecht erzählten Story und den Bleispritzmomenten nach Genre-Standard. Aber da hat es sich schon längst ins Herz gebrannt.

 

Shenmue:
Ich war in der Arcade. Habe meine Kohle am Automaten für Plastikmüll verschwendet. Ich war verliebt. In eine Frau mit Rollkragenpullover. Ich habe mich tätowieren lassen. Ich habe eine Katze gestreichelt. Meinen Vater begraben. Schubladen geöffnet und meine Schuhe ausgezogen. Ich habe den Echtzeitschatten auf einer Jalousie betrachtet. Ungefähr eine Stunde. Ich habe Leute vermöbelt und trainiert. Ich kann mit Katarina Witt Shake-Feet über unseren Köpfen machen.
Ich hatte während dieser Zeit keinen Moment Fernweh.

Und dann kam ich an den Hafen. Scheuchte ein paar Möwen auf. Und da war er. Der Moment.

Shenmue vereinnahmt den Spieler narrativ so stark wie kaum ein anderes Spiel. Und wie wohl es ihn ähnlich einem „Mafia2“ in ein enges Regelwerk einspannt, (mit Tagesablauf, Schlafzwang und Lebenserhaltungskosten und damit der Notwendigkeit des Geldverdienens) bricht es mit dem Rezept des bloßen, distanzierten Betrachtens. Es ist ein kolossaler Gegenentwurf zu den Sim Citys dieser Welt. Und schafft es mit der Symbolik des Hafens, einem Ort des alternativlosen Aufbrechens, mit dem Beenden eines Lebensabschnittes und dem wehmütigen Zurücklassen lieb gewonnener Freunde auf ganz eigene Art emotionale Bedrückung. Fernweh. Nur anders.

 

Man könnte dieses Spiel bestimmt noch viel weiter treiben. Und jeder wird die ein oder andere Anekdote oder einen besonderen Moment zum Besten geben können. Was ich hiermit, entgegen meiner Gewohnheit, in den Kommentaren einfordere!

Es lässt sich schlussendlich festhalten, dass die distanzierte Betrachtung eines möglichst großen Bezugspunktes einen gewahr werden lässt wie unbedeutend, klein und borniert die egozentrische Fixierung ist. Und hier, beim Entkoppeln der Wahrnehmung und des Egoismus ein Ansatzpunkt für zu triggerndes Fernweh entsteht. Die Mechanik wie wir dieses Szenario erreichen sind vielfältig und wohl stark Typen- und Assoziationsbedingt.

 

3 Kommentare

  • Eines der Dinge, die Videospiele sehr gut können – wenn sie wollen – ist es, einen Raum konkret darzustellen. Das scheitert oft, wenn es um Orte geht, die der Realität nachempfunden sind, beispielsweise Großstädte der Gegenwart. Zumindest bei mir sind reine Fantasiewelten bisher wesentlich erfolgreicher gewesen, gerade wenn es darum ging Fernweh auszulösen.

    Ich erfuhr dies ganz stark bei Okami, bei dem die Spielewelt sich in kleine Städte bzw. Dörfer und große weite Felder aufsplittet. Bei den Wohnsiedlungen der Menschen empfand man Geborgenheit; einen Schutz vor den Gefahren auf den großen weiten Feldern, die zu vielen mannigfaltigen Gebieten führten, die Stück für Stück und vor allem durch viele kleine Details das Puzzle einer atmenden Welt zusammensetzten. Und ich wollte sie erforschen, weit mit meinen Wolfstatzen hinaus über den Horizont laufen; immer suchend, immer lernend.

    Ähnliche Erfahrungen habe ich mit Nier gemacht. Oder Shadow of the Colossus. Dort drängt sich dieses Gefühl jedoch geradezu auf.

    Aber es müssen nicht immer große weite Fantasiewelten sein. Gut konstruierte Survival Horror-Spiele lösen bei mir ein ähnliches Gefühl aus. Ähnlich, weil ich es nicht als Fernweh beschreiben könnte, es aber trotzdem eine Art explorativer Drang ist, der im Konflikt mit der Angst beim Spielen steht. Er kommt immer dann, wenn mir das Spiel die Freiheit lässt, einen kompletten Bezirk oder ein ganze Gebäude bis ins Detail zu erforschen. Nebula: Echo Night, Forbidden Siren 2. Auch die besseren Silent Hill-Spiele waren darin immer sehr erfolgreich, boten sie mit den Bauplänen sprichwörtlich die Blaupause für meine Vorstellungskraft. Ich befinde mich im dritten Stock, die Welten wechseln. Unvorstellbare, bizarre Konstrukte verzieren die Wände. Wenn es hier schon so alptraumhaft aussieht, wie soll es dann erst im Keller sein? Die Karte zeigt mir einen langen, endlosen Gang, den ich niemals betreten möchte. Die kribbelnde Spannung im Bauch sagt mir aber: Du willst es doch.

  • Hi Micha!

    Wow… du hast heute ja fast den ganzen Blog durchgearbeitet.. und so viele ausführliche Kommentare. Danke Dafür. Vor allem für diesen.

    Denn er beißt sich total mit meinem Eindruck. Und bestätigt mich in der vollkommenen Subjektivität der Fernweherfahrung.

    Okami, beispielsweise hat mich nur Levelbegrenzungen sehen lassen und funktionierte für mich nur über seine offen präsentierte Spielmechanik. Die Erfassung des Optischen reizte lediglich intellektuell. Ich konnte sehen warum und wie etwas gemacht wurde und honorierte diese Bemühung in Hinsicht auf Einzigartigkeit und Stiltreue. Fernweh aber kam nie auf.

    Und das zieht sich durch alle phantastischen Welten. Ich konnte vollends in Outcast versinken, lebte den Witcher, schlug mich durch die Gefängniswelt Gothics und phantastierte mich durch Ultima. Aber Fernweh empfand ich nicht. Da war die Barriere der Fantasy. Und die starke Verschmelzung mit dem Hauptcharakter die mir die Betrachtungsdistanz nahm.

    Allein bei Assasins Creed empfand ich Fernweh. Wohl vornehmlich weil die Massen der gesichtslosen Bewohner und die bemüht realistische Architektur einen Simulationscharakter ähnlich zu Sim City vorgaben.

    Bei Survival Horror muss ich leider passen. Das ist ein Genre dass ich erfolgreich umschiffe :)

  • Manu schrieb:

    Ich empfinde ein ähnliches Gefühl bei BioShock und Fallout. Ein Fernweh nach der Kultur, dessen hinterlassene Ruinen ih gerade durchforsche. Durch den Fund von zerbrochenen ArtDeco-Elementen in BioShock; durch zerfetzte Plakate, die von einer vergangenen, virtuellen Zeit zeugen.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird niemals weitergegeben.Erforderliche Felder sind mit einem * markiert.