Immer dieses Auto-Heal

Ich bin gerne ich.
Ausgeglichen, ruhig, spannend, tolerant, zynisch, ätzend, faul. Aber bin ich ich? Oder doch ein kaleidoskopisch verzerrter Flickenteppich, gewebt durch prägnante Vorbilder? Und, das soll hier die einzige Lebensweisheit bleiben, sind es nicht immer die, zu spät erkennbar, falschen Vorbilder, die einen unbarmherzig auf die Schnellbahngleise des Lebens schubsen?

Wie Sexy Cora für Brust-Op`s, Guido Westerwelle fürs Politikgebaren, George Broussard für Franchise Entwicklung und Jowood für seriöse Bilanzierung, haben sich auch ausgerechnet unsere Sinnspender Computerspiele die falschen Vorbilder ausgesucht.

Filme und Bücher.

Was läge auch näher. Man sieht bunte Bilder blendender Landschaften, verfolgt monströse wie modische Menschenmodelle auf der Sinnsuche in ihrem Habitat. Und hin und wieder liest man, in wohldosierten, homöopathischen Konzentrationen, die ein oder andere Textzeile. Zumindest wenn wir diesen, nach Ungerechtigkeit schreienden Unbill, autoritär wie aufklärend auftretender Autoren, nicht überspringen dürfen.

Wie in Filmen. Und Büchern.
Und doch so anders.

Denn neben der bloßen Übereinstimmung der abzubildenden Szenerie liegen die Stärken des Mediums Film in der Dramaturgie und der Emotionalität ihrer Akteure.
Dramaturgie aber ist vornehmlich Timing. Und Timing dürstet nach Kontrolle. Emotionalität wiederum ist subtil. Bestimmt durch punktgenau zu erfolgendes, durch jahrhundertelange Tätigkeit perfektioniertes Zusammenspiel von 26 Gesichtsmuskeln, Verschiebung von Fettpolstern, Faltenwurf und Transluszens der menschlichen Epidermis.

Spiele schaffen spielend Welten, die sich nicht den Gesetzen der Physik beugen müssen, die fantastisch aussehen, deren Farbigkeit mühelos divergierend vom zu Erwartenden ausfallen kann, die problemlos Abstraktionsebenen einführen, deren Effekte maßlos wie –voll eingesetzt werden können.
Wir könnten Welten simulieren, Strukturen beschreiben, Personen vergleichen, Evolutionsfolgen nachstellen, Mutationen erspielen. Kurzum: In komplexen parametrischen Systemen mittels verschiedener Spieldesigns, spannende, wie herausfordernde Stunden verbringen.

Und was machen wir?

Wir spielen Filme. Genauer: Wir agieren zwischen Triggerfallen. Und konsumieren die restliche Überwiegendheit, teuer und künstlich generierte Abziehbilder einfachster Filmmomente.

Wenn ein Spiel seinen Fokus auf eine klassische Dramaturgie legt, dann liegt die interaktive Komponente immer im Clinch mit dem Determinismus einer singulär zu erfolgenden Storyline. Denn während des Ablaufes der interaktiven Komponente verliert der Gamedesigner die Kontrolle über den Spieler. Weiß nicht, wohin er geht, was er macht, was er denkt. Somit fehlt ihm der Input, den er bei der nächsten Zwischensequenz benötigen würde, um adäquat, und gemäß den Richtlinien der zu verfolgenden Dramaturgie zu reagieren.

Die natürlichste Gegenreaktion ist daher die Eingrenzung der interaktiven Komponente. Je genauer und filmischer die Dramaturgie dabei ausfallen soll desto umfassender fallen die Einschränkungen der Handlungs- und Bewegungsfreiheit aus.

Bsp.: Wenn ich als Spieldesigner einen Turm einstürzen lassen möchte, dann erziele ich den größten dramaturgischen Effekt, wenn der Spieler dabei genau unter jenem zu sprengenden Objekt steht. Also genau an einem Punkt X in der Welt. Als Spieldesigner habe ich also nun die Aufgabe den Spieler zu diesem Punkt X zu lotsen. Je mehr Freiheit ich dem Spieler gebe, desto unwahrscheinlicher wird es, dass er den Punkt X erreicht. Um das zu kompensieren, kann ich als Spieldesigner entweder 10 solcher gleichwertiger Explosionen einbauen und so im statistischen Mittel auf die gleiche Dramaturgiestufe kommen (Nachteil: 10-fache Kosten) oder ich verwässere die Dramaturgie, indem ich den Punkt X grober triggere. Das kann mittels eines Radiustriggers geschehen oder bestimmte Bedingungen zum Auslöser haben. Die Wahrscheinlichkeit, beim Zeitpunkt des Einsturzes nicht im Aufmerksamkeitsbereich des Spielers zu sein, bleibt aber bestehen, sodass diese Methodik nicht bei storyrelevanten Elementen eingesetzt werden sollte, weil sonst das Verständnis der Storyline leiden könnte.

Das erklärt das Schlauchgebaren heutiger Shooter.
Spielerische Freiheit (und sei es nur eine „intelligent“ agierende AI) ist eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit des Spieles, weil sie unberechenbar für den Designer ist. Und da nicht nur der Bewegungsradius, sondern auch die Blickrichtung von tragender Bedeutung ist, stellt man dem Spieler einen „Verfolgungs-Marker“ (meist einen Mitsoldaten der Vorgesetzten) vor, dem es immer nachzuwatscheln gilt.

Trotz des Wegfalls interaktiver Zufallsmomente, und die rein stringente Abfolge vorchoreografierten Contents, kann die Plausibilität der Lüge der Entscheidungsfindung, in einem unnatürlichen, aber in der kommerziellen Realität unabdingbarem Bereich gebrochen werden: dem Respawn.

Wenn sich die Ereignisabfolge nach einem Spielertod, auf eine fast vollkommene Repetition bereits zuvor erlebter Scriptreihen beschränkt, bricht die Simulation einer, durch den Spieler zu schreibenden Geschichte in sich zusammen, der Spieler verkommt zum bloßen Betrachter eines fremdbestimmten Erzählkonstrukts.
Es gilt, daher das Sterben zu vermeiden.

Darum dürfen wir uns seit geraumer Zeit mit dem „Auto-Heal“ Mechanismus „vergnügen“. Das bedingungslose, und ungefährdete Vorpreschen mit der Bedeutungslosigkeit einer Verwundung, in Kombination mit sehr eng gesetzten Respawn-Punkten, minimiert die Repetitionserkennung zuvor durchlebter Scriptsequenzen. Hat dabei allerdings zusätzlich eine Verkürzung der Spielzeit zur Folge, (ich muss einen Level nur auswendig lernen wenn ich ihn immer wieder zur Gänze durchspielen muss ) und senkt den Schwierigkeitsgrad. Sodass man gerne lauthals dieses Ärgernis mit dem Wort „Casualisierung“ beschreit.
Ich habe lange über alternative „Heilverfahren“ oder Schadenvermeidungstechniken nachgedacht. Und sicherlich gibt es da ein Dutzend Systeme, die fairer, intensiver oder taktischer sind. Aber die Kommunikation einer diesseitigen Veränderung wäre nicht mehr als ein Herumdoktern an Symptomen.
Viel besser wäre es doch, die Ursachen zu ergründen, und zu verbessern.

Und statt sich mit den Produktionsmillionen eine Villa im „Uncanny Valley“ einzurichten, wäre die Abkehr von dieser harschen Realismsusanbetung, samt filmischer Dramaturgie, der bloßen Kopie eines anderen Mediums, hin zu der Interaktivität, die Computerspiele möglich- und ausmacht, die bessere Variante.
Auf dass die Motivation wieder aus der Spielmechanik und dem Weltenempfinden emporkommt, und nicht von außen, durch starre Filmpassagen herangetragen werden muss.

 

3 Kommentare

  • Bin beeindruckt. Schöner, intelligenter Artikel.

    Und einer, der dazu führt, dass ich mich ein wenig schuldig fühle: Einerseits bin ich ein Freund von Erzählspielen, andererseits nerven mich oft die von Dir geschilderten Symptome.
    Allerdings stört mich die reziproke Proportionalität von Freiheit und Narrativität nur dann, wenn sie nicht gut genug funktioniert. Will sagen, ich mag beide Arten, sowohl erzählende, den Film immitierende Spiele ohne Freiheit, als auch Spiele, die einfach nur über ihre bloße Mechanik oder Ästhetik funktionieren. Ärgerlich wird es eigentlich nur dann, wenn Entwickler daran scheitern, das eine oder das andere wirklich gekonnt umzusetzen.

    Und noch einmal zurück zum Immitieren des Kinos: Der Film hat Jahrzehnte gebraucht, um sich vom Theater zu lösen. Und inzwischen gibt es auch einige Spiele, die stilistisch weit über das bloße Nachahmen von Film hinaus gehen. Aber unterm Strich hast Du Recht. Das Medium Spiel muss sich in diesem Bereich noch deutlich weiter entwickeln. Auf jeders Shadow Of The Colossus kommen derzeit noch 50 Modern Warfares und auf jedes Silent Hill 2 100 Fahrendheits…

  • Wohhoo… der erste Comment. Und dann gleich Spieler Zwei :)

    Ich habe beileibe auch nichts gegen “Filmspiele”

    Ich wollte vornehmlich darauf aufmerksam machen dass die Imitation des Filmes eine sehr kostspielige, der Stärke des Computers entgegenlaufende, Art und Weise der Unterhaltung ist.

    In Computerspielen ist nichts teurer als Animation. Und selbst im Besten Falle (und nach Investitionen in Millionenhöhe) erreichen die nicht annähernd das Niveau zweier Filmstudenten die an nem Nachmittag mal die Kamera auf ne Kommilitonin halten..

    Die grafische Abstraktion die Indie-Spiele an den Tag legen ist ja kein intellektueller Absonderungswille vom Mainstream (naja, ein wenig Attitüde ist wohl schon vorhanden), sondern finanzielle Notwendigkeit (sprich: Armut).

    Deswegen fände ich den Fokus auf Spielmechanik erstrebenswert. Da so mehr Spiel pro eingesetztem Kapital rausspringen würde.

    Was entgegenläufige Strömungen natürlich nicht verbietet. Auch ich werde L.A. Noire spielen und über die Animationen staunen. Tech-Whoring halt.

  • der_w schrieb:

    Du googelt man nach Shadow of the Colossus und auto-heal und findet solch einen feinen Text. Danke.

    Ich bin auch der persönlichen Meinung, es sollte mehr auf das Gameplay und Spiel ansich in der Entwicklung Wert gelegt werden. Diese immer höheren Produktionsbudgets führen in eine Sackgasse. Animation, Inszenierung, techn. Präsentation ist wichtig in einem Spiel. Aber man ist doch mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo eine Steigerung der Qualität unverhältnismäßig teuer wird in der Produktion.
    Mir persönlich reicht die Grafik von Shadow of the Colossus (PS3 Remake) oder einem Red Dead Redemption. Es muss das Gameplay packen. Es ist leider schon fast ein Trauerspiel, dass mich ein gut 10 Jahre altes ICO mehr packt, als ein CoD / BF3 – obwohl letztere wohl mit dem mehr als 10fachen Budget in den Markt gedrückt wurden.

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