Spielen wir Krieg…

Mit periodischer Regelmäßigkeit zerreißt sich Fach- wie Populärpresse bei jenen Neuerscheinungen, deren Anliegen es ist, einer stumpfen Masse an Erlebnisgetränkten Überspielten, durch vermeintlich Neusame Gräueltaten, ein emotional bindendes Bedrohungsszenario aufzubauen, das multimediale Maul, und streitet für und wieder die Freiheit der Verstümmelungsabbildung, getragen von der Welle der Klicks und Visits, und reger leserschaftlicher Teilnahme.

Das Ejakulat der, in erregter Manier erarbeiteten, geistigen Muskelkontraktion ist dabei selten das Taschentuch wert in das es hineingerotzt wurde. Denn die Ergebnisbandbreite dümpelt in völliger Beliebigkeit zwischen den Polen der kapitalgeprägten Hurerei ,(Gewalt als Mittel des Werbeffekts) und dem Wünsch-dir-was-Liberalismus eines Teilzeityuppies (Gewalt als Ausdruck emotionaler wie künstlerischer Freiheit).

Wo du stehst, bestimmt deine Erziehung. Oder dein Vordenker.

Viel spannender ist doch die Frage, warum wir bei jedem platzenden Zivilstenkopf, so berechenbar den Kanon der Entrüstung über dem Medium ausschütten. Gewalt, in jeder nur erdenklichen Manier, ist doch ein längst abgenutztes Erregungsmoment unserer Unterhaltungsdekadenz.

Und trotzdem sensibilisieren wir uns dermaßen für den einen zu erwartenden Schockmoment, dass er bestimmt schon ins „Einmaleins der Videospielentwicklung“ (Taschenbuch, 3.Auflage) aufgenommen wurde. Gleich nach: Rote Fässer explodieren.

Der Grad der gezeigten Gewalt, auch der neuen rezeptfreie zu konsumierenden Schlaftablette „Homefront“, kann, für sich genommen also keine Schlagzeile wert sein. Es ist vielmehr die Diskrepanz wischen Szenarioversprechen und Szenarioerleben. All die atmosphärisch präsentierten Auswürfe bildmarkanter Gewaltekstase sind nicht Folge und Momente des eigenen Interaktionspotenzials, sondern Geisterbahnstaffage aus bunt beklebtem Pappmaschee.

 

Bitte Gurt anlegen

Rauchen und Trinken einstellen

nicht aufstehen und die Arme nicht ausstrecken.

Die Fahrt geht los.

 

So weit, so belanglos, so schon hundertmal gespielt.

Doch was fehlt uns, um die lausige Fahrt zu einer glaubwürdigen Erfahrung zu machen? Eine Erfahrung, die uns die Intensität und die Beklommenheit eines bewaffneten Konfliktes näherbringen lässt? Eine Erfahrung, die uns im Angenommenen erstarren lässt und deren Nachhall nicht bloß ein weiterer Verkäuferstern bei Ebay ist?

Was macht ein Spiel zu einem authentischen Kriegserlebnis, und damit zum Anti-Kriegsspiel?
Geht es um bildliche Gewalt? Um aufquellende Därme, eiternde Stümpfe, ausgekotzte Lungenbrocken, freiliegende Wirbelsäulen und über die Schrankwand verteile Gehirnmasse?

Schieße man erfolgreicher aus der Ich-Sicht oder aus der der dritten Person? Braucht es Auto-Aim, Coversystem, Cloth-Simulation und deformable Terrain?
Autoheal oder Hitpointsystem? Welches ist der dankbarste Gegner? Der Russe, der Nazideutsche, der Koreaner? Welche Epoche wäre angeraten, welche Waffen zu verbraten?

Es ist egal. Vollkommen.

Bestimmendes Element eines Krieges ist dessen Unfassbarkeit. Die unermessliche Trauer um plötzlich aus dem Leben gerissene Menschen. Der grausame Zufall und die eigene Ohnmacht, die Degradierung des eigenen Weltmittelpunktes zum bedeutungslosen Spielball fremder Interessen. Die Ungewissheit des zu erwartenden Morgen. Die Hoffnungslosigkeit. Die Erkenntnis, aktiver Teil einer widernatürlichen Vernichtungsspirale zu sein.
Krieg ist Reduktion auf naturgegebene, gesellschaftsentfremdende Urtriebe.
Freude ist folgerichtig nicht der explodierende Tank des vorbeifahrenden Jeeps, nicht Orden und Ränge, nicht Headshots, Doublekills und Weaponupgrades.

Sondern ein heißes Bad nach dem panischen Vergraben in tiefem Morast, eine gewärmte Hand am Feuer, das Kitzeln eines Grashalmes auf einem Fleck unverwüsteter Wiese inmitten einer Einöde aus zerschossenen Baumstümpfen und aufgedunsener Granattrichter, ein melancholisches Gespräch unter fahl, und hoffnungslos dreinschauenden Kumpels, ein Brief aus der Idylle einer fernen, intakten Welt.

Krieg ist keine durchchoreografierte Actionballade mit Happy End am Ende der Sehnscheidenentzündung, kein progressives Erlebnis auf den Kurven des Spannungsbogens eines deterministischen Dramas. Jedes Spiel, das diese elementare Basis missachtet, instrumentalisiert den Konflikt nur als Kulisse für einen fremdartigen Spielkokon, und setzt sich damit der Eingangs beschriebenen Erregungstirade aus.

Zurecht.

Eine logische Abfolge abschätzbarer Entscheidungen und taktischer Winkelzüge ist Krieg nur in den abstrakten, verkopften Planungsstäben der Militäroberen. Je näher der Krieg vom Planspiel zum Unmittelbaren hin zoomt, desto mehr verkommen taktische Befehle zu Todesweissagungen. Marschbefehle zu Sühnepfaden. Bombardements zu Massengräbern.
Spiele machen den Fehler den Erfahrungshorizont des Spielers durch beiderseitige (taktische wie globale Erklärung in den Zwischensequenzen, persönliche Kriegserfahrung in den Levels) Einsicht in den Kriegsprozess zu sprengen. Er kann sich mit keiner der beiden Seiten identifizieren und wandelt als ambivalentes Mischwesen auf den Spuren der Zerstörung. Moralisch legitimiert aber ohne die Erdung und die Motivation des einfachen Soldaten. Denn dessen Ziel ist das Überleben. Einnahme, Sieg und Abschüsse können im Hinblick auf die (ferne) Karriere von Interesse sein, für die tägliche Gratwanderung zwischen Leben und Sterben sind sie belanglos. Und fallen damit als Motivationsfaktor weg.

Kein Antikriegsfilm versucht, einen erfolgreichen Militärkonflikt in chronologischen Schlachtengemälden Revue passieren zu lassen. Immer wird ein, von ranghohen Militärs geplantes, taktisches Manöver zum Ausgangspunkt genommen, zu dessen Durchführung eine Gruppe Soldaten eingesetzt wird. Diese Gruppe zerbricht in der Regel an der praktischen Durchführung der theoretisch erdachten Maßnahme. Dieses Spannungsfeld aus geplantem Anspruch und dem Scheitern an menschlichen Charakterschwächen und zwischenmenschlichen Interaktionsmustern macht das Spannungsfeld eines Antikriegsfilmes aus. Und keine Rambo’esken Dschungelrushes.

Warum sollen Spiele dieses Feld nicht erfolgreich erobern können? Auch wenn es manchem Entscheidungsträger in den Führungsgremien finanzstarker Publisher kurios vorkommen mag: Schießen und Töten ist nicht das einzig anbietbare Interaktionselement in Videospielen.

Ich für meinen Teil würde auch Wegrennen, mich in Granattrichter ducken, Essen stehlen, Stacheldraht ziehen, Schützengräben ausheben, Gefangenenlager bewachen, Bordelle aufsuchen, plündern, Skat spielen, Gulaschkanonen an die Front bringen, Verwundete versorgen, Kriegsnachrichten moderieren oder Zivilisten evakuieren.

Und ich würde dabei keinen einzigen, vor seinem weinenden Kind erschossenen Zivilisten sehen müssen, um mich angekommen zu wissen.

 

Ehrlich.

 

2 Kommentare

  • Darüber habe ich mir schon so oft den Kopf zerbrochen – wie könnte ein Antikriegsspiel aussehen? Wie schaffe ich es, dass sich der Spieler nach dem Erreichen des letzten Spielziels zurücklehnt und sich sagt – “Mann… Krieg ist scheiße.”?

    Klar – die aktuellen Kriegsshooter schießen sich selber ins Bein, indem sie uns ein multiplayertaugliches Actionfeuerwerk verkaufen wollen, aber die leisen Momente vergessen. Doch selbst wenn irgendwann diese Momente als Immersionsverstärker wieder entdeckt werden, glaube ich nicht, dass sie uns weiter in Richtung eines Antikriegsspiels bringen. Wahrscheinlich dürften wir einmal Schusswaffe gegen Spaten tauschen und mit dem Feuerknopf 10 Gräber für gefallene Kamerade ausheben. Was die meisten Spieler spätenstens bei 8/10 Gräbern langweilig finden.

    Mein Ansatzpunkt wäre, sogar ganz von der straighten Soldatengeschichte wegzugehen. Mich hat immer sehr die Geschichte meine Großvaters mütterlicherseits beeindruckt, der mit seiner Mutter und seinen Geschwistern aus Oberschlesien geflohen ist. Über das was er – selbst nichtmal erwachsen – erlebt hat und machen musste, um seine Familie durchzubringen und wie schwer es ihm gefallen ist, auf dieser Basis ein bürgerliches Leben aufzubauen.

    Wie wäre es mit einer Geschichte, die das Schlachtfeld nur streift? Der Protagonist kann ja ein Soldat sein, aber vielleicht ist der offizielle Krieg schon während des ersten Einsatzes zu Ende und im Endeffekt versuchen wir ihn einfach nur nach Hause zu bringen? Und wer weiss schon, was ihn da erwartet – das könnte nur ein Wegpunkt auf seiner Reise durch die Hölle Krieg sein.

  • Ja, ein Anti-Kriegsspiel welches Schießen zum Hauptziel hat wird da seine Motivation draus ziehen müssen. Und wird zwangsläufig scheitern.

    Das “Schlachtfeld” darf daher wirklich nur gestreift werden. Bzw. es muss auf diesem Schlachtfeld Interaktion angeboten werden die sich vom Schießen abwendet. Genug Kriegslogistik (auch abseits des Gräberschaufelns^^) wäre ja vorhanden.

    Optimal fände ich den Fokus auf die Anwerbung (Man spielt einen jungen Kerl der durch seinen Lehrer Vaterlandsliebe eingebläut bekommt), Mangelerscheinungen während des Krieges (einen Näherin die für die Patronenfertigung angelernt, und zum Schluss aufs Land zur Steckrübenernte geschickt wird) und Wirtschaft (einen Industriellen der sich an einem möglichst langen Krieg schamlos bereichert).

    So als Rollenspiel-Adventure Mix. Mit EINER vollkommen brachial motivierenden Schlachtfeldsequenz am Ende, in der man als “Feind” die durchspielten Protagonisten im “Endsturm” umbringt bzw. misshandelt.

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