Die Würfelwelt – Minecraft

Es verbietet sich eigentlich, zumal als Blogger, ein, von den Printsauriern der Branche bereits für sich entdecktes und medial ausgeschlachtetes Thema aufzugreifen. Und trotzdem möchte ich hier über Minecraft schreiben. Nicht über den sich, zugegeben sehr sympathisch präsentierenden Programmierer Markus „Notch“ Persson, der mit seiner durchlebten Tellerwäschervariation die Verheißung auf eine glorreiche Zukunft unabhängiger Spieleprogrammierung hat aufleben lassen. Nicht über die Kunst zum richtigen Moment das richtige Spiel zu plagieren. Nicht über das Internet und seine Dynamik der Nutzer, die durch diverse kostenlose Propagandakanäle ein unglaublich mächtiges Werbeinstrument sein können. Nicht über die mittlerweile etablierte Bereitschaft der Nutzer für eine Betaversion zu bezahlen.

Ich möchte gerne über etwas vermeintlich Simpleres schreiben:

Das Voxel

Mit Verfall des Bitmaps in der Endzeit der 16Bit Konsolen und der Emanzipation des grafischen Erscheinungsbildes weg von der plakativen Starre eines zweidimensional bewegbaren Bildes trat das bis heute gültige Diktat des Polygons als einzig einzusetzendes grafisches Konstrukt ans Tageslicht. Dabei war diese neuartige Erfahrung, die es ermöglichte, eine Spielwelt nun eigenständig durch die Wahl des Blickwinkels zu erfahren so bedeutend, dass man sich lange Zeit mit, objektiv gesehen, weit schlechterer Stilistik und technikbedingter Detailarmut begnügte. Für viele Titel, die ohne heutzutage obligatorische, und schon lange nicht mehr im Feature-Set beworbene Techniken wie Texturen, Perspektivkorrekturen oder anisotropen Filterung auskommen mussten, brauchte man eine funktionierende Brechresistenz um deren Grafikbrei zu ertragen. Und trotzdem fühlte man: Dieser Erfahrungsgewinn der dritten Dimension war alternativlos.
Die neue dritte Dimension erlaubte uns, in einer virtuellen Beschreibung des Raumes zu agieren, und schnell wurden wir darauf konditioniert, dass der virtuelle Raum durch ein Gitter platter, papierdünner Polygonstrukturen gebildet wird. Die durch das geschickte Umspannen eines hypothetischen Gegenstandes, dessen Struktur und physikalische Präsenz simuliert. Und dessen Erscheinungsbild durch perspektivisches Aufbringen eines Bildes, der Textur, verbessert wird.
Was dem Polygonobjekt seit jeher fehlte, war ein Volumen. Anders als die Wirklichkeit, in dem jedes Wesen durch Zellteilung von innen heraus wächst und die endgültige Gestalt aus dem Verebben dieses Wachstumsprozesses resultiert, werden beim polygonalen Modelierungsprozess nur die Konturen des adulten Resultates umrissen. Es bleibt innen hohl.

Und so arrangierten wir uns mit einer optisch immer beeindruckender erscheinenden Oberflächensimulation, einer Postkartenoptik. Interaktion, (solche, die sich nicht auf die bloße Bewegung im virtuellen Raum beschränkt) wurde und wird immer nur AUF dieser Oberfläche, aber niemals MIT dieser Oberfläche geboten. Abgesehen von einigen, eigens modellierten Objekten, die, schon als Bruchstücke mit Sollbruchstellen modelliert, auf Interaktion, als sogenannte „procedual-destruction Objects“ zerbersten, und so Masse und Struktur vortäuschen sollen.
Selbst die wenigen Spiele, die „Terramorphing“-Kapazitäten aufweisen, leben mit dem Makel der Substanzlosigkeit des Terrains das Sie Abbilden, und lassen deshalb nur ein, durch Graustufenveränderung einer Height-Map bedingtes Verschieben und Verzerren des Polygonrasters zu. Mit den bekannten Texturverzerrungen an stark vertikal ausgerichteten Polygonen. Das Ablösen und neu zusammenfügen des Netzes ist dabei nicht möglich.
Diese Limitationen stellen auch die Notwendigkeit eines Grafikers. Da Objekte nicht aus ihrem physikalischen Aufbau, aus deren Funktion heraus gebildet werden, entfällt die Möglichkeit sie parametrisch zu simulieren. Um trotzdem ein optisch glaubwürdiges Objekt darstellen zu können, braucht es einen Künstler, der einen realen Gegenstand mittels Polygonen beschreibt. Die, dem Spieler sichtbare Welt ist also immer das Abbild der Kreativität einer Anzahl Grafiker. In ihrer Hand liegt der Stil, die Farbigkeit, die Textur und die Beschaffenheit einer digitalen Landschaft. Als Spieler konsumiert man dieses Produkt ohne Möglichkeit der Einflussnahme.

Und dann ist da Minecraft. Eine Ansammlung von verschiedenen Blöcken. Eine Anordnung allein nach parametrischen Variablen. Ein volumetrisches Raster. Ein digitales Bällchenbad.

In Minecraft ist jedes landschaftliche Element „erfühlbar“. Die Welt, die Gesamtheit der grafischen Oberfläche hat ein Volumen. Jedes Element kann abgetragen, aufgetragen, rekombiniert werden. Die erschaffenen Muster entspringen nicht dem Geist eines Künstlers, sondern haben ihre Grundlage in einer (vereinfachten) Simulation der Entstehung der Welt. Von innen nach außen.
Das ist für sich genommen keine großartige Neuigkeit, arbeiten doch viele Grafikprogramme (GeoControl oder auch Terragen2) nach diesem Prinzip. Allein, Minecraft ist das erste Produkt, das dieses Erlebnis spielbar macht. Und das Spiel zum Erlebnis.
Minecraft zelebriert die Auflösung des Rollenverständnisses zwischen Designer und Spieler. Der Designer gibt die Schaffenshoheit ab und stellt nur noch die Basiselemente bereit, der Spieler wird zum Architekten seiner Welt. Und erlebt in dieser begrenzten Umgebung, vollkommen rein und nicht durch narrative Ablenkung verwässert, die Essenz des Begriffes „Spiel“.

 

Das Spiel (v. althochdt.: spil für „Tanzbewegung“) ist eine Tätigkeit, die ohne bewussten Zweck zum Vergnügen, zur Entspannung, allein aus Freude an ihrer Ausübung ausgeführt wird. Es ist eine Beschäftigung, die um der in ihr selbst liegenden Zerstreuung, Erheiterung oder Anregung willen und oft in Gemeinschaft mit anderen vorgenommen wird.

 

Sagt Wikipedia. Und beschreibt damit den Kern Minecraft`s. Wo ich bei anderen Spielen, durch deren narrative Hülle und Genreklassifizierung einen Handlungsverlauf und ein Setting aufgedrückt bekomme, dass mich – im Spiel – keinesfalls freie Zerstreuung, sondern zielgebundene Interaktion vollführen lässt, lässt mich Minecraft vollkommen allein, stellt lediglich wertefrei eine Werkzeugsammlung bereit. ICH spiele ja. In MEINER Welt.
Diese Erkenntnis des Alleingelassenwerdens, dieses Freiheitsgefühl in einer Welt aus Variablen, die unendliche Weite der Landschaft, die Einzigartigkeit des Erlebten ergeben ein Gefühl dass einem in der heutigen Spielgestaltung, bei der man in wirklich jedem Titel penetrant und unaufhörlich an die Hand genommen und durch enge Erfahrungskorridore geschleift wird, Ehrfurcht und fortwährendes Erstaunen ausdrückt.
Und so kann das Erforschen einer verschlungenen Höhle, das Durchschwimmen eines unterirdischen Flusslaufes, die Sichtung eines riesigen Felsüberhanges oder das Abbauen des ersten Goldklumpens viel prägender sein als der Abwurf einer Atombombe, die Explosion eines Weltraumkreuzers oder ein Kampf gegen Titanen.

Am Ende ist es nicht wichtig WAS man erlebt, sondern WIE man erlebt. Denn man spielt.

 

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