Magier als Ausbildungsberuf

Wenn Gandalf sich sein Gesichtsgestrüpp zwirbelt, um Laute aus der evolutionär als Futterluke erdachten Haarspalte strömen zu lassen, lauschen Besucher vor wie Einwohner hinter der Mattscheibe den theatralisch in die Welt hinausposaunten Worten. Denn was es zu hören gibt ist Ausdruck einer höheren Intelligenz und in den verklausulierten Monologen schwingt eine begreifende Weltsicht und ein visionärer Ausblick auf Kommendes mit.

Wenn wir als Zauberer in einem Spiel, gerade abgekämpft und blutdurchtränkt von den verwüsteten Feldern immerwährender Kriege gegen sich aus dem Erdreich manifestierende Kreaturen kommend, in einer schäbigen Spelunke deren Trostlosigkeit und Armut sich an den Furchen des Mobiliars wie der Wirtin ablesen lässt, mit knurrendem Magen nach Speis und Trank lechzen, können wir uns gewiss sein dass vor der Befriedigung unserer Gelüste das Entrichten eines Obolus` oder eine Quest zur Kohlkopfbeschaffung auf gar nicht so nahen Feldern steht. Wobei der zweite Fall von Spielern wie Wertern unisono das Prädikat der liebevollen Weltgestaltung und/oder der Questfülle aufgestempelt bekommt.

Dass es in Anbetracht eines mächtigen, kriegswütigen und Welten rettenden Gegenübers undankbar bis tollkühn ist, für einen Eintopf einen Gegenwert zu erwarten ist das eine, einem Magier mit solch einer Schnippischkeit ins Gesicht zu rotzen, das andere.

Seit jeher ist die Angst vor Zauberei und der damit verbundene Aberglaube samt dessen putzige bis lächerlichen Vorbeuge- und Vergrätzungsversuche ein wesentliches Element einfacher und statistisch bildungsferner Populationen. Die Angst gründet auf der Annahme, dass sich Zauberei nicht an Naturgesetze hält und damit weder intellektuell greifbar noch physisch abwehrbar ist. Wer Angst vor Dieben hat, verstärkt seine Türschlösser, wer sich eines Waldbrandes erwehren möchte, rodet sein Gelände, wer sich vor sexueller Nötigung fürchtet, wählt die Frisur von Claudia Roth.

Dem Zorn des Magiers aber ist mit solcherlei Tand nicht beizukommen. Die energetische Wirkweise eines Zauberspruches bedingt zum einen eine nicht notwendige Nähe zum Wirkort, zum anderen schert sich der Zauber nicht um Besitzansprüche und Rechtsauslegungen. In Kombination ist jedes verteidigende Werkzeug also genauso eine potenzielle Waffe für das übermächtige Gegenüber.

Ein Magier, und das liegt der Art seiner physikalischen Manipulation logisch inne, ist ein Garant für die Sprengung jedes Spannungsbogens. Denn wo sich die Herausforderungen seiner bauchschlitzenden und schädelspickenden Gefährten immer in den Grenzen der Naturgesetze abspielen und der Sieg als Meisterprüfung des Handwerkes und Trumpf des unbändigen Willens zu sehen ist, sind solcherlei Prüfungen für den Magier bedeutungslos. Warum die von kampferprobten Recken besetzte Brücke stürmen, wenn sich diese bösartigen Visagen viel einfacher in einer herbeigerufenen Flutwelle ertränken lassen, und die zerborstene Flussquerungskonstruktion hiernach per Fingerschnipsen wieder zusammengesetzt werden kann?

Die klassische Fantasy stellt diesem dramaturgischen Dilemma ein gesellschaftliches Konstrukt entgegen, in der Magier eine- neben der weltlichen sowie klerikalen-  dritte Gesellschaftssäule bilden. Diese Unterteilung hat den Zweck Magier nur in bestimmten Schlüsselmomenten agieren zu lassen. Dann nämlich, wenn im Sinne der Welterhaltung eingegriffen werden muss. Das klingt vage. Ist es auch. Die genaue politische Agenda eines Magierzirkels ist wohl auch den Autoren in den wenigsten Fällen wirklich geläufig. Das ganze Konstrukt dient mehr als löchriger Workaround, um im Storytelling weiterhin auf die klassische Erzählfolge vertrauen zu können.

Trotzdem ist diese Lösung gefälliger als das was in jedem Fantasy-Spiel mittlerweile zum hinterfragungslosen “State-of-the-Art” geworden ist.

Der auf seine magische Kampffähigkeiten reduzierte Zauberer. Im Balancing mit den Stereotypen des (weiblichen) Fernkämpfers und (männlichen) muskulösen “Schlag-dich-Tots” gleichgestellt degeneriert diese ursprünglich unbalancierbar komplexe Figur (quasi der Zerg unter den Rollenspielen) zu einem bloßen Feuerballschubser und Blitzleiter.

Vom besonderen Mysterium zu einem austauschbaren Ausbildungsberuf. Nicht einmal die optische Darreichung der energetischen Entladung behält einen besonderen Charme. Längst hat man sich auf einen Farb- und Formenkanon geeinigt, der jeden erfahreneren Spieler in Langeweile dahinschlummern lässt. Bis auf WoW-Spieler. Die empfinden ihr Siechtum als lebensbestimmende Erfüllung.

In schönster Google-Farbigkeit ist der Feuerball gelb und rund, der Blitz blau und zackig, Natursprüche beruhigend grün, und alles, was sich der moralisch abgewandten Seite andient, wird mit einem bösen Rotton visualisiert.

Man kann den gehaltlosen Light-Magier den uns Spiele so gerne als die Figur mit dem vollen Fantasy-Geschmack verkaufen möchten nun natürlich nachsichtig in den Reigen der unumgänglichen Videospiel-Stereotypen einsortieren. Schließlich haben wir es auch irgendwann aufgegeben, uns gegen Zwerge und Elfe zu echauffieren. Und wenn mal wieder einer dieser bonbonbunten Zaubereffekte- in deren Windhauch wir einen Anflug von Bart zu erkennen meinen- an uns vorbeizischt, dann können wir der Spielehistorie gedenken, die in der effektgeladenen Darstellung von Lichteffekten einen einfachen und günstigen Weg zur Abgrenzung von den Medien Film und Literatur sah.

Trotzdem bleibt der schale Nachgeschmack.

Denn die Figur des Magiers ist eine mit unglaublichem Potenzial. Und gleichzeitig eine die bei unsachgemäßer Handhabung der Glaubwürdigkeit der simulierten Welt und Geschichte im Fingerschnippen unwiderruflichen Schaden zufügt.
 
Drei Problemfelder sind es die den Magier von einem vollwertig anerkannten Partizipant einer intellektuell annehmbaren Spielumgebung fernhalten:
 

  • Vergleichbarkeit zu anderen Waffengattungen:

 
In des Videospiels Drang zur Contentlastigkeit ist die Selektion des Recken mit dem man Abenteuer erleben möchte meist kein vom Gamedesigner vorgegebenes Diktat, sondern eine Wahlmöglichkeit, die sich nicht nur in der optischen Individualisierbarkeit mittels Baukastensystem ausdrückt, sondern zusätzlich verschiedene mehr oder minder starre Verhaltensblaupausen anbietet. Klassischerweise den Nahkämpfer, die Bogenschützin und den Zauberer. Wenn das Spiel dabei grundlegend designt wird müssen sich die Eigenschaften dieser Rollenbilder natürlich so einfügen dass eine faire Vergleichbarkeit gegeben und die Herausforderung jederzeit lösbar ist. Zaubersprüche sind deshalb ein Equivalent zu den Attacken des Nahkämpfers und der Bogenschützin und haben auch einen vergleichbaren Schadenswert.

 

  • Repetitivität der Handlungen:

 
Einhergehend mit der eher geringen Schadenswirkung eines Zauberspruches entsteht zum einen eine Diskrepanz zwischen wuchtig optischem und schmächtig wirkendem Effekt. Im Bereich der Ego-Shooter hat man mittlerweile die Erkenntnis gewonnen, dass das Treffervermögen eines Gegnerkopfs einen Schuss nicht übersteigen sollte, weil es das Machtgefühl des eigenen Tötungswerkzeuges erheblich einschränkt. Im Bereich des Zaubers steht diese Erkenntnis noch aus. Aber auch abseits dieser Erkenntnis ist das Prinzip des Zauberns nicht zur Repetitivität geboren. Wenn wir von einem „Magic Moment“ reden oder wenn einer Szene ein „Zauber innewohnt“ dann kennzeichnet diesen umrissenen Sachverhalt immer eine unerwartete Eigenständigkeit. Es liegt in der Natur des Unerwarteten, dass dieser Effekt bei Wiederholung zusammenbricht.
 

  • Wirkungsmonopol auf Gegner:

 
Die Funktionsweise eines Zaubers basiert auf der Schöpfung und/oder Aussendung von Energie. Man würde erwarten, dass sich diese Ausströmungen von kinetischer Kraft auf die komplette Levelarchitektur auswirkt. Leider wird das System der Energieerzeugung aber nicht simuliert. Stattdessen wird eine einfache Hitpointmanipulation beim Gegner mit einem grafischen Effekt verbunden. Ein Magier kann so in Spielen mittels seiner Fähigkeiten also immer nur mit den Gegnern in Interaktion treten. In Bereichen abseits des Kampfverhaltens mutiert er zu einem völlig austauschbaren Charakter.

 

Um den ausgetretenen Pfaden der immer gleichen Fantasy wieder zu einer trennschärfenden Einfriedung zu verhelfen wäre die Neufassung des Magiers in Spielen ein guter Ansatzpunkt. Es sollte dabei beachtet werden die Besonderheit dieser Figur in die Spielmechanik aufzunehmen und eine Vergleichbarkeit zu den Mitstreitern zu verhindern. Am einfachsten funktioniert so eine Änderung in einem Spiel, dass einen Kampfverbund (Party) zur Steuerung bereitstellt. Denn hier muss der Magier spielmechanisch keine eigenständige Überlebensfähigkeit mitbringen. Ein Magier, der seine Fähigkeiten nur durch die Beeinflussung nichtbelebter Materie einbringt, (z. B. Windrichtungsänderung um gegnerische Geschosse zu bremsen und die Durchschlagskraft der Pfeile der Bogenschützin zu erhöhen) wäre eine Möglichkeit den Kampf mit dieser Charakterklasse zu individualisieren und zu indirektionalisieren.

Eine andere Möglichkeit wäre die Kopplung der Zauberhäufigkeit mit einem Rufattribut. Je mehr ein Zauberer also zaubert desto geringer wird er in seinen Kreisen geschätzt. Was ihn in seinem Aufstieg in diesem Zirkel hindert. Es gilt also zwischen steter Kampfunterstützung und (moralischer) Bedeutung seines Magiers abzuwägen.

Am weitesten dem Naturell des Magiers entgegenkommend, aber sich auch vom klassischen Gamedesign am stärksten entfernend wäre sicherlich eine Parallelisierung des Erzählstranges von Kämpfern und Magiern unter Beibehaltung kommunikativer Verkettung und Verstrickung. Der Magier würde dabei den politisch-intelektuellen Teil eines aus der Sicht einer Zeitenchronik erzählten Konfliktes verfolgen und im Spieldesign den rätsellastigen und gesprächsintensiven Teil übernehmen während die Kämpferparty in den Niederungen einzelner Konfliktfragmente die Geschichte in lebensnahen Auszügen durch Blut, Schweiß und Kampf miterlebt. Wobei eine enge Verzahnung, Kreuzung und Abhängigkeit beider Erzählstränge anzuraten ist.

 

Ein Kommentar

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird niemals weitergegeben.Erforderliche Felder sind mit einem * markiert.