Über Innovationen und Fortsetzungen

Es gibt da diese Sage. Von Reichtum. Von unbeschreiblichen Schätzen. Unsichtbar in ihrer physischen Präsenz. Bewacht von unkantigen, unscheinbaren aber mit unermesslicher Macht ausstaffierten Gestalten. Von Menschen die sich zusammengeschlossen haben Ideen und Erinnerungen zu konservieren. Keine durch intrigante Wissenshäufung angefertigte Schatzkarte kann den Pfad zu dieser Herrlichkeit weisen. Denn sie wohnt uns allen, dezentral verteilt als verklärter Funke nostalgisch empfundener Freude inne. Geschützt vom unüberwindbaren Schloss der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz geistigen Eigetum

Die IP. Das Franchise. Der Brand.

In ihrer Gesamtheit nur unzureichend geschützt und der Möglichkeit der dreisten Nachahmung ausgesetzt, reicht trotzdem das bloße Thronen eines Schriftzuges auf einer Din genormten Plastikbox, um Massen informationsfauler oder vergangenheitsverklärender Käufer in die Konsumtempel zu drängen, um einen Teil ihrer Arbeitsleistung gegen die Teilhabe an diesem Kunstprodukt zu tauschen.

Aber Obacht: Das wertvolle Mobiliar oxidiert, läuft an. Und schon nach einer überschaubaren Zeitspanne verwandelt sich das ehemals güldene Geschmeide in kupfernes Funktionshandwerk. Immer noch von Wert, von seiner Anziehungskraft aber nur noch der polnischen Metallschieberbande von nebenan ein Funkeln in die Augen zaubernd, braucht ein so „verlebtes“ Franchise einen Lkw großen Aufwand um Ertrag zu gewährleisten.
Dieses immanente Verfallsdatum verleitet die Schatzmeister in der Regel dazu, ihre Prunkstücke regelmäßig der Öffentlichkeit vorzuführen. Immer um ihre Sicherheit und Einzigartigkeit bemüht, werden solcherlei Wertträger in ständiger Politur mittels samtbehandschuhter Streicheleinheiten umhegt und gepflegt. In Fokusgruppentests jede Kante bis zur unkenntlichen Beliebigkeit geschliffen, von Trendforschern und Maskenbildnerinnen ins rechte Licht gerückt und von Täuschungsagenturen als himmlische Offenbarung totkommuniziert.

Von den Printkrämern mittels eines standardisierten wissenschaftlichen Würfelverfahrens mit einer hohen zweistelligen Zahl etikettiert und mit Streberklimbimsticker für extra fleißige Arbeitswut überklebt. Von den Spielern in form- und stilloser Schriftform boykottiert. Und in physischer oder digitaler Form in Massen gekauft.

Doch ab und an kommt es zu unerklärlichen Unregelmäßigkeiten in diesem eingespielten Prozess der Langeweile-Huldigung. Da werden erfolgreiche Franchises ohne Not und ohne von außen wahrnehmbare Gründe eingeschmolzen um in einem, den Kopf die Tischplatte suchenden Transformationsprozess wiedergeboren zu werden. Die Güte des Ergebnisses steht in Korrelation zur Genreexpertise des odemprustenden Studios; die vom unveränderten Schriftzug annehmbare Verwandtschaft wird in der Regel spielmechanisch aber vollkommen negiert.

Mit Grauen denken wir an „Ultima Online 2“, dass den Weltensimulationsanspekt einer 3D-grafischen Melange verschiedener Zeitepochen opferte, ein „Prince of Persia“, dass als künstlerisch ambitioniertes Cellshading Märchen in Kunterbunt den Grabräubercharme des Originals mit Füßen trat oder ein „Max Payne 3“, dessen trostloses Noir-Setting samt texturfotografischer Stilistik gegen ein pseudoplastisches, airgebrushtes Sammelsurium filmischer Klischees der Spätneunziger getauscht wurde.

Was solche Entscheidungsspiralen in Gang setzt? Darüber kann nur spekuliert werden. Sinkende Verkaufszahlen sind ein sicherer Tipp. Oder Kannibalisierungseffekte mit zwischenzeitlich zugekauften Studios und deren Brands. Vielleicht auch die Anbiederung an die zunehmende Popularität anderer Genres. Oder aber der künstlerische Schaffensdrang von aus lebensgesicherter Langweile erwachter Entscheidungsträger. Ok. Genug der Jokes.
Die kompromisslose Neuausrichtung eines Brands stellt aber eine offensichtliche Zäsur in der Wahrnehmung eines Spieles dar. Sie entkoppelt nämlich den Namen von der Spielmechanik. Und fördert damit die Beliebigkeit und den inflationären Gebrauch eines Markennamens.
Denn gerne wird der Name dann auch gerne quer über verschiedene Titel verteilt.

Autorennen? Nfs!
Blizzard? XXX-craft!
Generische futuristische Militärverherrlichung? Tom Clancy!
Krieg mit Fahrzeugen? Battlefield!

Dass dabei vollkommen unterschiedliche Genres, Entwicklerteams und Zielgruppen heillos durcheinandergewürfelt werden, wird mit einem Achselzucken in Kauf genommen. Das Franchise rechtfertigt nicht mehr das Vertrauen in eine dem Spieler genehme Spielführung und verweigert sich damit einer Klassifizierung und der Vorschusslorbeervergabe.

Brands geben sich nur noch als Äquivalent zum gebuchten Model, dass, mit offensichtlichen aber oberflächlichen Reizen, triebgesteuerte Reaktionen triggert. Die Identifikation des Werkes mit seinem Schöpfer wird durch den Deckmantel des übergroßen Publisher-Emblems erschwert, die Öffentlichkeitsrepräsentanz hat bei ihrem Weg vom Gamedesigner zum CEO den Imagewandel von Vergötterung zu allgemeiner Verachtung genommen.
Mit aller Macht zentralisiert sich die Branche und arbeitet konzeptionell nur noch mit hochbudgetierten, zentral vermarktbaren Riesenbrands, die mit den klassischen Mitteln der Aufmerksamkeitssteigerung verkauft werden.

Das alles könnte man emotionslos so hinnehmen. Man könnte beim Blick auf den Boden des Bierglases nuschelnd von der Unverdorbenheit der guten alten Zeiten schwadronieren und seine Verachtung in dem bitter salzigen Geschmack eines Tequillashots ertränken.
Könnte man. Und würde ich. Wenn die Schweine nicht ausgerechnet „Tomb Raider“ dem grundlos forschen Umgestaltungswillen unterworfen hätten. Jetzt soll die unverwechselbar arrogante und unnahbare Milf, die zarte Lichtgestalt unser jugendlichen Fantasien, repetitiv mal wieder ihre Jugend durchleben. Unschuldig. In Graubraun. Mit Survival Elementen. Und toller spielerischer Freiheit. Jammernd, weinend, ängstlich wird ein unnahbares Mädel durch den Horror einer zivilisationsfernen Insel stapfen.
So wenig man der Spielmechanik bisher vorwerfen kann, und auch in Anbetracht der Tatsache dass weiterhin das bewährt fähige Studio „Crystal Dynamics“ produzierend tätig ist (erinnert sich noch jemand an deren geniales Me-too Jump n`Run „Gex“ aus der Ära der Knuddeltierfranchises? Das mit Marliece Andrana, ihres Zeichens Playmate des Monates März 1998, als Sidekick? *Lechz, Sabber*) ist es trotzdem bitter das man eine der wenigen westlichen popkulturellen Videospiel -Errungenschaften so kopf- und reulos opfert.

In einem Bereich, in dem ein Prinzessinnen rettender Klempner seit Dekaden die Speerspitze der Identifikationsfiguren stellt, muss man für jede, zugegeben recht grob und stereotyp angelegte, halbwegs glaubwürdige Figur dankbar sein. Und es ist weniger die Anlage die Lara Croft auszeichnet als vielmehr der mediale Werdegang und die Feuilletonnähe samt einer filmischen Adelung.

Die Charakterisierung und mediale Wahrnehmung war dabei immer viel näher an der Figurengestaltung als am spielmechanischen Beiwerk.
Und die, dass mus man auch als Fan eingestehen, ist wiewohl flüssig spielbar, doch sehr belanglos. Die drei Kernelemente, Klettern, Rätseln und Schießen haben in Folge der Genregrenzaufweichung längst ihr Alleinstellungsmerkmal eingebüßt. In „Assassins Creed“ klettert es sich dynamischer und spektakulärer, in „Gears of War“ fightet es sich härter und die lauen Versuche das Schalterrätselallerlei mit Physikspielereien aufzulockern wirkt seit „Half Life 2“ nur noch bemüht.
Allerdings muss sich „Crystal Dynamics“ auch vorwerfen lassen in den vergangenen Teilen den Fokus auf spektakuläre Szenen und weniger auf eine Weiterentwicklung der Kernbereiche gelegt zu haben. Wenn es beim Klettern nur noch darum geht, mittels einer Taste und einer 90°-Ausrichtung den blinkenden Felsvorsprüngen zu folgen, dann darf es nicht verwundern dass es einem „Uncharted“ schon im ersten Anlauf gelingt dieses Element mustergültig zu imitieren.
Wenn wilde Tiere nach wie vor mit Unmengen Blei gefüllt werden wollen während Lara hektische Ausweichbewegungen vollführt (Lara dabei allen Ernstes mit Pistolen auf Fledermäuse schießt) und der Gefährdungsgrad bei voll bewaffneten menschlichen Kontrahenten nicht ansteigt, dann erkennt man schnell den alleinigen Zweck der Shoot-Outs. Ein Bedrohungs- und Überraschungsszenario aufzubauen, das die Substanzlosigkeit der Kletterpassagen überdeckt und den Spieler zur dauernden „Habtachtstellung“ zwingt.

Solcherlei Kompromisse sind leider Gift für die narrative Entfaltung. Denn all die Widersacher wollen logisch erklärt werden. Was bei der häppchenweisen Darreichung kleiner Gegnerkontingente dramaturgisch schwer bis unmöglich ausfällt. Im Fall der bisherigen Games scheinbar unmöglich.
Statt behutsam die Kletterpassagen mehr in Richtung Wegfindung oder Steuerungsanspruch zu entwickeln, ordnet man den kommenden Sprössling einer Neuordnung im Sinne des Narrativen und des Art-Designs unter, und verleugnet dabei die Wurzeln des einstigen Erfolges.
Und beraubt mich zudem eines der letzten „Sightseeing-Trip-Games“ deren abwechslungsreiche Szeneriegestaltung in Anlehnung an echte Reiseziele den leider längst verblassten Spirit der alten Bond-Filme trägt.

Schade drum.

 

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